Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)
Ich weiß nicht…«
» Hundert Dollar. Auf die Kralle. Spring. Mach schon. Du willst es doch auch.«
» Ich weiß nicht mal, ob ich sie jetzt irgendwo ausgeben könnte…«
» Dann tu’s für deinen Ruhm und deine Ehre, Bruder. Und für die hundert Kröten.«
» Yeah! Ehre! Spring, Alter!«
Einen Moment lang kam keine Reaktion von dem Mann, der da unter Druck gesetzt wurde. Rebecca wandte sich wieder der friedlichen Szene vor ihr zu. Die warme Sonne im Nacken machte sie schläfrig. Doch dann schoss » Banzai!« rufend ein verwaschener Fleck an ihr vorbei. Rebecca löste sich mit einem Aufschrei von der Reling und stürzte genau im richtigen Moment wieder nach vorn, um einen Soldaten zu sehen, der mit einer Arschbombe unter ihr im Wasser aufschlug.
» Er hat’s gemacht!«
» Verdammt, ja.«
Von unten kam nun, weniger laut: » Wo sind meine hundert Kröten, Arschloch?«
Rebecca schüttelte den Kopf und spazierte an der Reling entlang. Der Frieden war zu Ende.
Sie fragte sich, was Mbutu wohl machte. Sie hatte vor mehreren Tagen zuletzt mit ihm geredet. Sie fand den Mann interessant, aber auch ein wenig geheimnisvoll. Fast so wie Sherman. Interessante Menschen waren einer der Gründe, warum Rebecca morgens gern aufwachte. Mbutu schien eine objektive, globale Sicht der Dinge zu haben. Er erinnerte sie an die klugen alten Männer in den Indiana-Jones-Filmen, die im Laufe der Handlung auftauchten, prophetische Dinge sagten und dann nicht mehr vorkamen– obwohl Mbutu keineswegs alt war und sich wahrscheinlich nicht mal für klug hielt. Sherman, nahm sie an, war wohl mehr auf einfache weltliche Gelüste abgestimmt. Er rauchte Zigarren, las Bücher und interessierte sich für Geschichte. Mbutu schien die Welt zu verstehen. Sherman schien sie zu kennen.
Der Gedanke an die beiden erinnerte Rebecca an einen rasch verblassenden Menschen aus ihrer Erinnerung. Decker. Sicher, es ging ihm unter Deck gut, und er war auch gesund und ziemlich bestimmt noch immer an ihr interessiert. Vielleicht war es die Arbeit, die sie an Bord beschäftigt hielt, oder der Gedanke an die Ausbreitung des Virus. Oder die aufschlussreiche Art, in der er ihr hatte befehlen wollen– nein, befohlen hatte, fiel ihr ein–, brav oben und in Sicherheit zu bleiben, als der Erreger unter Deck ausgebrochen war. Rebecca wusste genau, dass sie lieber Wunden behandelte, statt welche zu verursachen, aber der Zwischenfall an Bord hatte sie dazu gebracht, sich mit dem Gedanken anzufreunden, sich bei der nächstbesten Gelegenheit eine Waffe zu beschaffen. An Deck und darunter lagen überall M-16-Gewehre herum. Die Munition für diese Waffen war freilich knapp. Sherman hatte angeordnet, sämtliche Patronen einzusammeln und an die besten Schützen zu verteilen. Nun verfügten die meisten Männer nur noch über Handfeuerwaffen und die wenigen Maschinenpistolen, die es an Bord der Ramage gab.
Rebecca hatte lachen müssen, als Sherman ihr mit höflichen Worten erklärt hatte, wie ihre waffentechnische Lage aussah.
» Wir haben genug Munition an Bord, um eine Großstadt einzuebnen. Wir haben Tomahawk-Raketen, zwei automatisch ihr Ziel suchende Zwanzig-Millimeter- FLIR -Geschütze, Anti-Luft- SM -Zweier, Anti-Schiff-Harpunen, U-Boot-Killer und sechs Torpedoschächte. Aber wir haben kaum genug Munition, um uns einen Zug Soldaten vom Hals zu halten.«
Daheim in den Staaten hätte Rebecca zum Haus ihres Onkels gehen können. Er war Herr über vier Waffenschränke voller Schießeisenmodelle, die der Mensch seit 1911 entworfen hatte. Rebecca hatte immer über ihn gelacht– manchmal sogar in seiner Anwesenheit– und ihn damit aufgezogen, dass er in seinem verfassungsmäßigen Recht etwas zu weit ging. Jetzt wusste sie nicht mehr so genau, ob sie richtiggelegen hatte. Vermutlich hatte ihr Onkel sich nun in seinem Haus in den Wäldern verschanzt, nippte einen Whisky und amüsierte sich über die Misere der unvorbereiteten Welt.
Trotz ihrer nachlassenden Gefühle für Decker und die sie drängenden Befürchtungen hinsichtlich der vor ihr liegenden Arbeit fragte Rebecca sich aber doch, was die in Quarantäne befindlichen Soldaten machten. Natürlich war ihr untersagt, sie zu besuchen. Als eine der wenigen noch lebenden ausgebildeten Sanitäter an Bord bescherte ihr dies ungute Gefühle. Vielleicht konnte man nichts mehr für einen Soldaten tun, der als infiziert diagnostiziert war, aber man konnte wenigstens die Nichtinfizierten dort rausholen und in Sicherheit
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