Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)
Kratzen von Füßen auf Zement.
» Lass es bleiben!«
» Runter mit der…«
Schüsse krachten. Anna schwang sich um die Ecke, die Pistole in der Hand. Mason stand neben der Leiche des Wachmannes. Pulverdampf stieg aus dem Lauf seiner Kanone auf.
» Verdammt nochmal«, sagte Mason als er Anna sah. » Ich habe gesagt, er soll die Knarre stecken lassen. Aber er hat sie gezogen. Ich hab ihn umgebracht.«
» Das war richtig, aber jetzt müssen wir doppelt so schnell sein.«
» Stimmt.« Mason musterte den zu seinen Füßen liegenden Toten. » Der Zellenhebel ist an der Wand.«
Anna schaute sich um und erblickte den schweren Eisenhebel, der in die Steinwände des Kerkers eingebettet war. Sie packte ihn und zog daran. Die alten eisernen Zellentüren gingen zwar auf, doch Julie zeigte sich nicht im Gang. Mason beugte sich über den toten Wachmann, löste seinen Waffengurt und nahm die Ausrüstung des Pechvogels an sich. Anna lief durch den Gang, blickte in alle Zellen, die sie passierte, und hielt nach Julie Ortiz Ausschau. Fast am Ende des Ganges fand sie sie endlich.
Julie hatte sich wie ein Fötus auf der dünnen feuchten Koje ihrer Zelle zusammengerollt und die Arme fröstelnd um die Schultern geschlungen.
» Julie!«, stieß Anna hervor, als sie in der Tür stand. » Aufstehen!«
Die Augen der Journalistin öffneten sich, ihr Blick richtete sich auf Anna. Ihre Augen glitzerten, als sie sie erkannte, doch als sie sich aufrichten wollte, fiel sie auf die Koje zurück.
» Kann nicht…«, murmelte sie. Ein Husten ließ ihre Gestalt erbeben.
» Himmel«, sagte Anna. » Was haben die Ihnen angetan?«
» Ist so kalt…«, murmelte Julie.
Anna bemerkte erst jetzt, dass die Temperatur in der Zelle mehr als kühl war. Aufgrund der künstlichen Feuchtigkeit des Raumes war Julie eindeutig in einem elenden Zustand.
» Mason, ich brauch Hilfe!«, rief Anna laut. » Julie ist in schlechter Verfassung!«
Mason eilte zu ihr hin, musterte Julie und schüttelte den Kopf. » Sie wird uns nur behindern. Wir können das Risiko nicht eingehen. Wir müssen schnell sein …und so schnell wie möglich hier raus, denn nun wissen sie, dass wir etwas vorhaben.«
» Die haben doch alle Hände voll mit der Seuche zu tun«, sagte Anna beharrlich. » Wir kriegen sie schon hier raus. Helfen Sie mir, sie zu tragen!«
» Seuche?«, murmelte Julie. » Morgenstern?« Sie raffte sich selbst in eine sitzende Position auf, hielt die Arme aber weiterhin um ihre Schultern geschlungen. Ihr Gesicht war blass und wirkte in dem matten Licht kränklich, aber abgesehen von Unterernährung schien ihr nichts zu fehlen. Wieder wurde sie von einem furchtbaren Husten geschüttelt. Anna fügte der Liste ihrer Leiden noch eine mögliche Lungenentzündung hinzu.
» Ich erkläre alles, sobald wir draußen sind«, sagte Mason. » Falls wir je hier rauskommen. Bei diesem Tempo schaffen wir es nie. Wenn wir sie mitnehmen, schön. Jetzt aber los.«
Mason trat auf Julie zu und drückte ihr die Waffe des toten Wachmannes in die schwachen Hände.
» Kann sein, dass Sie sie brauchen«, sagte er. » Wenn Sie können, geben Sie uns Deckung, während wir Sie tragen.«
Julie nickte und erlaubte Mason und Anna, sie hochzuheben und zu stützen. Sie gingen zusammen hinaus, die Treppe hinauf und in die hell erleuchteten Bereiche der Haupteinrichtung zurück, zu dem Kontrollposten, an dem sie schon mal gewesen waren.
» Wie kommen wir an den Wachen vorbei?«, fragte Anna.
» Überlassen Sie das mir«, hauchte Mason. » Der Wachmann im Kerker hatte ein paar Überraschungen an seinem Waffengurt.«
Sie lehnten Julie an die Wand. Sie sank schwer dagegen, hielt die Luft an und unterdrückte einen neuen Hustenanfall, der den Wachleuten ihre Anwesenheit ganz sicher verraten hätte.
Mason, in der Hocke, zog einen blau getönten Zylinder aus dem an seiner Schulter hängenden Gürtel.
» Eine Granate?«, fragte Anna ungläubig. » Dann haben wir die halbe Welt am Hals.«
» Eine Granate«, gab Mason leise zurück. » Ja. Aber keine, die explodiert.«
Anna warf dem abtrünnigen Agenten einen verblüfften Blick zu. Mason riss den Splint heraus und ließ ihn ohne weitere Erklärung fallen.
Anna duckte sich und hielt sich die Ohren zu, als der Mann um die Ecke griff und die Granate durch den Gang auf die Wachen zurollte. Sie hörte die überraschten Ausrufe der Wachen, das Klicken von Sicherungshebeln und Kugeln, die in Patronenkammern geschoben wurden– doch keine
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