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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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am Straßenrand liegt, wo ich ihn zurückließ. In diesem Fall ist er jetzt wahrscheinlich im Schnee begraben, aber heute ist die Sonne herausgekommen, und es beginnt ein wenig zu tauen.

 
15
     
     
    Kivrins Erholung kam so plötzlich, daß sie überzeugt war, etwas sei geschehen, was ihr Immunsystem endlich aktiviert habe. Der Schmerz in ihrer Brust verging, sie hörte auf zu husten, und ihre Schläfenverletzung heilte vollständig aus.
    Imeyne untersuchte sie argwöhnisch, als verdächtigte sie Kivrin, die Verletzung vorgetäuscht zu haben, und Kivrin war unendlich froh, daß die Wunde nicht mit kosmetischen Mitteln nachgeahmt worden war. »Du mußt Gott danken, daß er dich geheilt hat«, sagte Imeyne mißbilligend und kniete neben dem Bett nieder, um mit ihr zu beten.
    Sie war zur Messe gewesen und trug ihr silbernes Reliquienkästchen. Sie legte es zwischen die gefalteten Hände und betete das Vaterunser, dann zog sie sich mühsam in die Höhe.
    »Ich wünschte, ich hätte mit dir zur Messe gehen können«, sagte Kivrin.
    Imeyne rümpfte die Nase. »Ich hielt dich für zu krank«, sagte sie mit einer vielsagenden Betonung auf dem Wort »krank«, »und es war bloß eine armselige Messe.«
    Und sie begann mit einer Aufzählung von Pater Roches Sünden: er habe die Epistel vor dem Kyrie gelesen, sein Chorhemd sei mit Kerzenwachs befleckt, er habe einen Teil des Confiteor vergessen. Die Beschäftigung mit seinen Sünden schien sie in bessere Stimmung zu versetzen, und als sie fertig war, tätschelte sie Kivrins Hand und sagte: »Du bist noch nicht ganz geheilt. Bleib noch einen Tag im Bett.«
    Kivrin tat es und nutzte die Zeit, um ihre Beobachtungen in das Aufnahmegerät zu sprechen. Sie beschrieb das Herrenhaus und das Dorf und alle Personen, denen sie bisher begegnet war. Der Verwalter kam mit einer Schale des bitteren Tees, den seine Frau bereitet hatte, ein dunkler, stämmiger Mann, der sich in seinem Sonntagswams und dem zu feinen silberbeschlagenen Gürtel unwohl zu fühlen schien, und ein Junge etwa in Rosemunds Alter kam herein, um Eliwys zu sagen, daß an ihrem Pferd eines der vorderen Hufeisen fehle. Aber der Pfarrer kam nicht wieder. »Er ist gegangen, dem Häusler die Ölung zu geben«, erzählte Agnes ihr.
    Das kleine Mädchen erwies sich weiterhin als eine ausgezeichnete Informantin, beantwortete sämtliche Fragen Kivrins bereitwillig, ob sie die Antworten wußte oder nicht, und gab unaufgefordert alle möglichen Informationen über das Dorf und seine Bewohner. Rosemund war stiller und sehr darauf bedacht, erwachsen zu erscheinen. »Agnes, es ist kindisch, so zu sprechen. Du mußt lernen, deine Zunge im Zaum zu halten«, sagte sie wiederholt, eine Bemerkung, die auf Agnes glücklicherweise ohne Wirkung blieb. Rosemund sprach jedoch über ihre Brüder und ihren Vater, der »versprochen hat, daß er Weihnachten bestimmt zu uns kommen wird«. Offensichtlich verehrte und vermißte sie ihn. »Ich wollte, ich wäre ein Junge geworden«, sagte sie, als Agnes Kivrin den Silberpfennig zeigte, den Sir Bloet ihr gegeben hatte. »Dann bliebe ich mit Vater in Bath.«
    Von den beiden Mädchen und aus Brocken der Gespräche zwischen Eliwys und Imeyne, die sie durch eigene Beobachtungen ergänzte, konnte sie sich Stück für Stück ein ziemlich klares Bild von den Verhältnissen im Dorf machen. Es war kleiner als Montoya für Skendgate errechnet hatte, klein sogar für ein mittelalterliches Dorf. Kivrin vermutete, daß es einschließlich der Familie des Gutsherrn und des Verwalters nicht mehr als vierzig Menschen beherbergte. Der Verwalter hatte fünf Kinder »und einen neugetauften Säugling«, wie Rosemund sagte.
    Es gab zwei Schäfer und mehrere Bauern, die alle dem Gutsbesitzer hörig waren, aber es war »die ärmste von allen Besitzungen« ihres Sohnes, sagte Imeyne. Sie beklagte sich beinahe jeden Tag, daß sie Weihnachten hier verbringen müßten. Der Verwalter und seine Frau waren die sozialen Aufsteiger des Dorfes, und Maisrys Familie zählte zu den Ärmsten, die nichts besaßen und es nie zu etwas bringen würden. Kivrin zeichnete alles auf, Zahlenangaben und Klatsch, und faltete die Hände im Gebet, wann immer sie die Gelegenheit hatte.
    Der Schneefall, der eingesetzt hatte, als sie zum Herrenhaus zurückgebracht worden war, hatte die ganze Nacht und den nächsten Tag bis in den Nachmittag angedauert und eine fast dreißig Zentimeter hohe Schneedecke hinterlassen. Am ersten Tag, den Kivrin ganz

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