Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
Vom Netzwerk:
es noch oder schon wieder, aber es gab Schatten im Zimmer, und gerade läuteten die Glocken vier Uhr. Die Praktikantin half ihm zur Toilette. Das Buch war verschwunden; anscheinend war Colin dagewesen und hatte es mitgenommen, während er geschlafen hatte, doch als die Schwester die Tür des Nachttisches öffnete, um seine Pantoffeln herauszunehmen, sah er es dort liegen. Er bat sie, sein Bett hochzukurbeln, daß er darin sitzen könne, und als sie gegangen war, setzte er die Brille auf und nahm sich wieder das Buch vor.
    Die Pest hatte sich so willkürlich ausgebreitet und so verheerend gewütet, daß es den Zeitgenossen unmöglich gewesen war, eine natürliche Krankheit in ihr zu sehen. Sie hatten Leprakranke und alte Frauen und geistig Behinderte beschuldigt, Brunnen vergiftet und das Volk verflucht zu haben. Bei allem Aberglauben und aller Unwissenheit sagte ihnen ein gesunder und sicherer Instinkt, daß die Gefahr von außen kam, und so war es nur folgerichtig, daß jeder Ortsfremde verdächtig war. Man stellte Wachen auf und schloß die Stadttore – in der Regel freilich zu spät –, vertrieb fahrende Händler vom Gemeindeland und schreckte auch vor Gewalttaten nicht zurück. In Sussex hatte man zwei Reisende gesteinigt, in Yorkshire eine junge Frau als Hexe verbrannt.
    »Da ist es also hingekommen«, sagte Colin beim Eintreten. »Ich dachte, ich hätte es verloren.«
    Er trug seine grüne Jacke und war ziemlich naß. »Ich mußte die Kästen mit den Handglocken für Mrs. Taylor zur Heiligen Reformierten Kirche hinübertragen und es gießt mal wieder in Strömen.«
    Die Erwähnung von Mrs. Taylors Namen erfüllte ihn mit Erleichterung und er merkte, daß er aus Furcht, schlechte Nachrichten zu erhalten, nicht nach den Zwangseinquartierten gefragt hatte.
    »Dann ist Mrs. Taylor also gesund?«
    Colin berührte den Knopf unten an seiner Jacke, und sie öffnete sich und versprühte Regenwasser. »Ja. Am Fünfzehnten wollen sie ein Schellenläuten veranstalten.«
    Dunworthy schloß das Buch und gab es ihm. »Und die übrigen Schellenläuter? Mrs. Piantini?«
    Colin nickte. »Die ist noch im Krankenhaus. Sie ist so dünn, daß Sie sie nicht wiedererkennen würden.« Er schlug das Buch auf. »Sie haben über den Schwarzen Tod gelesen, nicht?«
    »Ja«, sagte Dunworthy. »Mr. Finch ist nicht krank geworden, oder?«
    »Nein. Er ist für Mrs. Piantini eingesprungen. Er ist sehr aufgeregt. Mit der Lieferung aus London ist kein Toilettenpapier gekommen, und er sagte den Leuten, sie sollten Zeitungspapier nehmen. Er hatte deswegen Streit mit dem Gallenstein.« Er legte das Buch aufs Bett zurück. »Was wird aus Ihrem Mädchen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Dunworthy.
    »Können Sie etwas tun, um sie herauszuholen?«
    »Nein.«
    »Der Schwarze Tod war fürchterlich«, sagte Colin. »So viele Leute starben, daß sie nicht einmal begraben wurden. Man ließ sie einfach in großen Haufen liegen.«
    »Ich kann nicht zu ihr, Colin. Wir verloren die Fixierung, als Gilchrist das Netz abschaltete.«
    »Ich weiß, aber die Koordinaten müssen eingespeichert sein, nicht? Gibt es nichts, was wir tun können?«
    »Nein.«
    »Aber…«
    »Ich werde mit dem Arzt über die Einschränkung Ihrer Besuche sprechen«, sagte die Schwester streng. Sie nahm Colin ohne Umschweife beim Kragen und zog ihn mit sich.
    »Dann fangen Sie damit an, daß Sie Mrs. Gaddson nicht hereinlassen«, sagte Dunworthy. »Und sagen Sie Mary, daß ich sie sprechen möchte.«
    Mary kam nicht, aber Montoya besuchte ihn, offensichtlich frisch von der Ausgrabung. Sie war bis zu den Knien mit Schlamm bespritzt, und ihre dunklen Locken waren verschmiert, wo sie mit den Fingern hineingefahren war. Colin kam mit ihr wieder herein.
    »Wir sind an ihr vorbeigeschlichen, als sie ins Nebenzimmer mußte«, sagte Colin.
    Montoya hatte sehr abgenommen. Ihre Hände waren sehr schmal, und die Digitaluhr an ihrem Arm saß lose.
    »Wie fühlen Sie sich?« fragte sie.
    »Besser«, log er, in die Betrachtung ihrer Hände versunken. Unter ihren Fingernägeln war lehmige Erde. »Und Sie?«
    »Besser«, sagte sie.
    Sie mußte nach ihrer Entlassung vom Krankenhaus direkt zur Ausgrabungsstätte gefahren sein. Und nun war sie – anscheinend genauso direkt – zu ihm gekommen.
    »Sie ist tot, nicht wahr?« sagte er.
    »Ich fürchte, ja.«
    Kivrin war also doch am richtigen Ort gewesen. Die örtlichen Koordinaten waren nur ein paar Kilometer oder ein paar hundert Meter daneben gewesen, und es

Weitere Kostenlose Bücher