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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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Vielleicht behinderte ihre Krankheit die Funktionstüchtigkeit des Implantdolmetschers. Vielleicht würde sie, wenn ihr Fieber nachließe, alles verstehen, was sie sagten.
    Die alte Frau kniete neben dem Bett nieder, ein kleines Silberkästchen am Ende der Kette zwischen den gefalteten Händen, und begann zu beten. Die junge Frau beugte sich näher, um Kivrins Stirn zu betrachten, dann griff sie ihr hinter den Kopf und tat etwas, was an Kivrins Haaren zog, und sie begriff, daß die Leute ihre Verletzung an der Schläfe verbunden haben mußten. Sie berührte den Stoff mit der Hand, dann fühlte sie am Hals nach ihren Locken, aber da war nichts mehr. Ihr Haar endete unter den Ohren in einem zerfransten Saum.
    »Vae motten tiyez thynt«, sagte die junge Frau in besorgtem Ton. »Far thotywort wount sorr.« Kivrin hatte den Eindruck, daß sie ihr etwas erkläre, und obwohl sie nichts verstand, glaubte sie doch den Sinn zu erahnen: sie war sehr krank gewesen, so krank, daß sie gedacht hatten, ihr Haar stehe in Flammen. Sie erinnerte sich, daß jemand – die alte Frau? – versucht hatte, ihre Hände festzuhalten, als sie wild nach den Flammen geschlagen hatte. Es war ihnen nichts übrig geblieben als ihr das Haar abzuschneiden.
    Kivrin war immer stolz auf die Fülle und Schönheit ihres langen blonden Haares gewesen, obwohl seine Wäsche und Pflege viel Zeit erfordert hatte, und oft hatte sie sich gesorgt, wie die Frauen des Mittelalters ihr Haar trugen, ob sie es zu Zöpfen flochten oder nicht, und hatte überlegt, wie in aller Welt sie zwei Wochen ohne Haarwäsche auskommen würde. Sie sollte froh sein, daß sie es ihr abgeschnitten hatten, doch konnte sie nur an Johanna von Orleans denken, die kurzes Haar gehabt hatte und auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war.
    Die junge Frau hatte ihre Hände vom Verband genommen und beobachtete Kivrin mit ängstlichem Ausdruck. Kivrin lächelte ihr ein wenig zittrig zu, und sie lächelte zurück. Auf der rechten Seite ihres Oberkiefers fehlten zwei Zähne, und der Zahn neben der Lücke war braun, aber wenn sie lächelte, sah sie nicht älter als achtzehn oder neunzehn aus.
    Sie wickelte den Verband ab und legte ihn auf die Decke. Er war aus dem gleichen vergilbten Leinen wie ihr Kopftuch, aber in fransige Streifen gerissen und mit bräunlichem Blut befleckt. Es war mehr Blut, als Kivrin erwartet hatte. Mr. Gilchrists Alibiverletzung mußte wieder angefangen haben zu bluten.
    Die Frau berührte nervös Kivrins Schläfe, als wüßte sie nicht recht, was zu tun sein. »Vexeyaw hongrut?« sagte sie, schob eine Hand hinter Kivrins Hals und half ihr den Kopf zu heben.
    Ihr Kopf fühlte sich schrecklich leicht an. Das mußte daran liegen, daß ihr Haar abgeschnitten war, dachte sie.
    Die Alte gab der anderen eine hölzerne Schale, und die junge Frau setzte sie Kivrin an die Lippen. Kivrin nippte vorsichtig vom Inhalt, denn in ihrem noch verwirrten Sinn glaubte sie, es sei dieselbe Schale, in der das Wachs gewesen war. Das war es nicht, und es war auch nicht der Trunk, den sie ihr vorher eingeflößt hatten. Es war ein dünner, körniger Haferschleim, weniger bitter als der Trunk letzte Nacht, und mit einem fettigen Nachgeschmack.
    »Tasholde nayive gros vitalle towate«, sagte die Alte. Ihre harte Stimme klang kritisch und ungeduldig.
    Bestimmt ihre Schwiegermutter, dachte Kivrin.
    »Shimote lese hoor vourc«, antwortete die junge Frau geduldig.
    Der Haferschleim schmeckte gut. Kivrin hätte ihn gern ausgetrunken, doch schon nach wenigen Schlucken fühlte sie sich erschöpft.
    Ihre Pflegerin gab die Schale wieder der Alten, die auch ans Bett gekommen war, und ließ Kivrins Kopf behutsam herunter. Sie nahm den blutigen Verband, besah noch einmal Kivrins Schläfe, als sei sie unschlüssig, ob sie den Verband wieder anlegen sollte, und dann gab sie auch ihn der anderen Frau, die ihn und die Schale auf eine Truhe oder einen Tisch legte, die am Fußende des Bettes sein mußte.
    »Lo, liget hsteallouw«, sagte die junge Frau mit ihm zahnlückigen Lächeln, und wenn Kivrin die Worte auch nicht verstehen konnte, Tonfall und Gesichtsausdruck waren nicht mißzuverstehen. Sie sollte ausruhen und schlafen. Kivrin schloß die Augen.
    »Durmidde shaolausbrekkeynou«, sagte die alte Frau, und beide gingen hinaus und schlossen die Tür aus schweren Holzplanken.
    Kivrin wiederholte die Worte langsam, soweit sie sie behalten hatte, bemüht, einen vertrauten Anklang herauszuhören. Der

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