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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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Implantdolmetscher sollte ihre Fähigkeit verbessern, Phoneme auszusondern und syntaktische Muster zu erkennen, nicht nur mittelalterliches Vokabular zu speichern, aber sie hätte geradesogut Serbisch hören können.
    Und vielleicht war es so. Gott allein wußte, wohin man sie gebracht hatte. Sie war nicht bei Sinnen gewesen. Vielleicht hatte der Halsabschneider sie an Bord eines Schiffes gebracht und den Kanal überquert. Ihr Verstand sagte ihr freilich, daß das nicht möglich war. Sie erinnerte sich an den größten Teil der nächtlichen Wanderung, auch wenn ihr eine zusammenhanglose, traumähnliche Qualität eigen war. Sie war vom Pferd gefallen, und ein rothaariger Mann hatte sie aufgehoben. Und sie waren an einer Kirche vorbeigekommen.
    Wenn sie sich nur erinnern könnte, in welche Richtung sie gezogen waren. Zuerst war es durch den Wald gegangen, dann auf einen Fahrweg, zu einer Gabelung, und dort war sie vom Pferd gefallen. Wenn es ihr gelänge, die Weggabelung wiederzufinden, würde sie von dort vielleicht den Absetzort erreichen können. Die Weggabelung war nicht weit vom Dorf.
    Wenn aber der Absetzort so nahe war, dann mußte sie sich in Skendgate befinden, und die Frauen mußten Mittelenglisch sprechen. Warum konnte sie dann nichts verstehen?
    Vielleicht hatte sie sich beim Sturz vom Pferd am Kopf verletzt, und dabei war der Implantdolmetscher beschädigt worden. Doch wenn sie sich recht erinnerte, war sie nicht auf den Kopf gefallen; sie hatte sich nicht mehr halten können und war seitwärts heruntergerutscht und halb auf dem Hinterteil, halb auf der Seite gelandet. Es war das Fieber. Irgendwie hinderte es den Implantdolmetscher daran, die Worte zu erkennen.
    Andererseits hatte er das Latein erkannt, dachte sie, und in ihrer Brust zog sich etwas ängstlich zusammen. Das Latein hatte er richtig erkannt und interpretiert, und sie hatte es verstanden und beantwortet. Wie war es möglich, daß sie krank gewesen, nein, noch immer krank war? Sie hatte alle Impfungen bekommen. Sie mußte daran denken, wie die antivirale Schutzimpfung gejuckt und eine Anschwellung unter dem Arm gebildet hatte. Aber Dr. Ahrens hatte sie kurz vor dem Beginn der Absetzoperation überprüft und in Ordnung gefunden. Von allen anderen Schutzimpfungen hatte nur die gegen die Pest gejuckt, aber die Pest konnte sie nicht haben; sie zeigte keines der Symptome.
    Pestkranke hatten große Beulen unter den Armen und an den Innenseiten der Schenkel. Sie erbrachen Blut, und die Adern unter der Haut platzten und verursachten schwärzliche Blutergüsse. Es war nicht die Pest, aber was war es dann, und wie hatte sie sich die Krankheit zugezogen? Man hatte sie gegen jede im Mittelalter verbreitete Krankheit geimpft, und außerdem war sie nach ihrer Ankunft keiner Ansteckungsquelle ausgesetzt gewesen. Die Symptome hatten sich kurz nach der Ankunft gezeigt, noch ehe sie einem Menschen begegnet war. Krankheitserreger aber schwebten nicht im Umkreis eines Absetzortes im Wald und warteten, daß jemand durchkäme. Sie mußten durch Kontakt oder Tröpfcheninfektion oder Flöhe übertragen werden. Die Pest war von Flöhen übertragen worden.
    Es kann nicht die Pest sein, sagte sie sich mit Entschiedenheit. Menschen, die von der Pest befallen sind, überlegen nicht lange, ob sie sie haben; sie sind zu sehr mit Sterben beschäftigt.
    Es war nicht die Pest. Die Flöhe, die sie verbreitet hatten, lebten auf Ratten und Menschen, nicht draußen im Wald, und der Schwarze Tod hatte England erst 1348 erreicht. Es mußte eine mittelalterliche Krankheit sein, von der Dr. Ahrens nichts gewußt hatte. Damals hatte es alle möglichen seltsamen Krankheiten gegeben – die Skrofulose und den Veitstanz und namenlose Fiebererkrankungen. Eine von denen mußte es sein, und ihr gekräftigtes Immunsystem hatte eine Weile gebraucht, bis es darauf gekommen war und den Kampf aufgenommen hatte. Aber nun hatte es gesiegt, ihr Fieber war zurückgegangen, und der Implantdolmetscher würde anfangen zu funktionieren. Sie brauchte nur auszuruhen und abzuwarten und zu Kräften zu kommen. Getröstet schloß sie die Augen und schlief.
     
    Jemand berührte sie. Sie öffnete die Augen und sah die Schwiegermutter. Sie untersuchte Kivrins Hände, drehte sie von innen nach außen und wieder nach innen, fuhr mit ihrem schrundigen Zeigefinger über die Handrücken, betrachtete die Nägel. Als sie sah, daß Kivrins Augen offen waren, ließ sie die Hände wie angewidert los und sagte: »Sheavost

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