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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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eingeredet, er sei funktionstüchtig. Nicht durch den Dolmetscher hatte sie verstanden, was diese Leute sagten, sondern dank den Sprachlektionen, die sie genommen hatte, und vielleicht bildete sie sich nur ein, daß sie alles verstand.
    Vielleicht war es in ihrem Gespräch gar nicht um die Frage gegangen, wer sie war und woher sie kam, sondern um etwas völlig anderes, wie die Suche nach einem verlorenen Schaf oder die Vorbereitung ihres Hexenprozesses.
    Eliwys hatte im Hinausgehen die Tür geschlossen, und durch die massiven Planken konnte Kivrin nichts hören. Draußen hatte das Glockenläuten aufgehört, und das spärliche Licht, das durch das gewachste Leinen drang, verblaßte zu einem matten Graublau. Es dunkelte.
    Wenn das Fenster auf den Hof hinausging, konnte sie vielleicht sehen, in welche Richtung er ritt. Er hatte gesagt, daß es nicht weit sei. Wenn sie nur feststellen konnte, welche Richtung er einschlug, würde sie den Absetzort selbst wiederfinden.
    Sie richtete sich auf dem Strohsack auf, aber schon diese geringe Anstrengung ließ den stechenden Schmerz in ihrer Brust wieder aufleben. Als sie dann die Beine über die Bettkante gleiten ließ, um aufzustehen, überkam sie der Schwindel mit solcher Gewalt, daß sie sich zurückfallen ließ und die Augen schloß. Sie war zu schwach.
    Schwindelgefühl und Kopfschmerzen, Fieber und Stiche in der Brust. Von welcher Krankheit waren dies Symptome? Pocken begannen mit Fieber und Schüttelfrost, und die Pocken selbst erschienen erst am zweiten oder dritten Tag. Sie hob den Arm, um zu sehen, ob sich die Ausbildung von Pocken bemerkbar mache. Sie hatte keine Vorstellung, wie lang sie krank gewesen war, aber die Pocken konnten es nicht sein, weil die Inkubationszeit zwischen zehn und einundzwanzig Tagen betrug. Zehn Tage war sie in der Universitätsklinik von Oxford gewesen, wo der Pockenerreger seit annähernd hundert Jahren ausgestorben war.
    In der Klinik war sie gegen alle Seuchen geimpft worden: Pocken, Typhus, Cholera, Pest. Wie könnte es also eine von diesen Krankheiten sein? Und wenn es keine von ihnen war, was war es dann? Der Veitstanz? Wieder begann sie zu überlegen, daß es eine Krankheit sein müsse, gegen die sie nicht geimpft worden war, aber sie hatte auch ein gestärktes Immunsystem, um jede andere Infektion abzuwehren.
    Kleine Schritte tappten schnell die Treppe herauf. »Modder!« rief Agnes’ helle Kinderstimme. »Rosemund hat nicht gewartet!«
    Diesmal stürmte sie nicht so wild herein, weil die schwere Tür geschlossen war und erst geöffnet werden mußte, aber sobald sie durchgeschlüpft war, rannte sie winselnd zur Steinbank am Fenster.
    »Modder, ich wollte es Gawyn sagen«, schluchzte sie, dann hielt sie inne, als sie sah, daß ihre Mutter nicht im Zimmer war. Auch die Tränen versiegten sofort.
    Agnes stand eine Weile beim Fenster, als könnte sie sich nicht klar werden, was nun geschehen sollte, dann flog sie herum und lief zurück zur Tür. Auf halbem Weg erspähte sie Kivrin und machte wieder halt.
    »Ich weiß, wer du bist«, sagte sie und kam ohne Furcht näher. Sie war kaum groß genug, um über die Bettdecke zu sehen. Die Bänder ihrer Kappe waren wieder aufgegangen. »Du bist das Fräulein, das Gawyn im Wald fand.«
    Kivrin befürchtete, daß ihre Antwort in der Form, wie der Dolmetscher sie offensichtlich verstümmelte, das kleine Mädchen ängstigen würde. Sie hob den Kopf ein wenig vom Kissen und nickte.
    »Was geschah mit deinem Haar?« fragte Agnes. »Haben die Räuber es gestohlen?«
    Kivrin schüttelte den Kopf und lächelte über die komische Idee.
    »Maisry sagt, die Räuber haben deine Zunge gestohlen«, sagte Agnes. Sie zeigte auf Kivrins Stirn. »Tut es weh?«
    Kivrin nickte.
    »Ich habe ein schlimmes Knie«, sagte sie und zog es mit beiden Händen hoch, um Kivrin den schmutzigen Verband zu zeigen. Die alte Frau hatte recht gehabt. Er rutschte schon, und sie konnte die Wunde darunter sehen. Kivrin hatte angenommen, daß es nur eine Hautabschürfung sei, aber die Wunde sah ziemlich tief aus.
    Agnes wankte auf einem Bein, ließ das Knie los und lehnte sich gegen das Bett. »Wirst du sterben?«
    Ich weiß nicht, dachte Kivrin beim Gedanken an den Schmerz in ihrer Brust. Die Sterblichkeitsrate bei Pockenerkrankungen hatte im Mittelalter bei 75 Prozent gelegen, und wenn ihr verstärktes Immunsystem so wenig funktionierte wie der implantierte Dolmetscher…?
    »Bruder Hubard ist gestorben«, sagte Agnes altklug. »Und

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