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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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und der weißen Männer, die der Welt den Rücken zudrehten, während die dunkelhäutigen Männer die Welt anblickten und am Rand des Freskos zwei Frauen in Männerkleidung standen und die Männer ansahen. Über der Darstellung der Arbeit und der Maschinen fand sich eine Heilige Jungfrau in einem armseligen Perkalkleid mit kleinen weißen Kügelchen wie irgendeine Verkäuferin in einem Detroiter Warenhaus, sie hob ein nacktes Kind hoch, das ebenfalls eine Aureole hatte, und vergebens suchte sie Beistand im Blick eines Zimmermanns, der Mutter und Kind den Rücken zukehrte. Der Zimmermann hielt seine Arbeitsgeräte, Hammer und Nägel, in der einen Hand, zwei Kreuzbalken in der anderen. Sein Heiligenschein war verblaßt und bildete einen deutlichen Kontrast zum leuchtenden Karminrot des Fahnenmeers, das die Heilige Familie von den Maschinen und Arbeitern trennte.
    Das Gemurmel nahm zu, als die Schleier fielen.
    Spott und Parodie, eine Verspottung der Kapitalisten, die ihn beauftragt hatten, eine Parodie des Geistes von Detroit. Gotteslästerung, Kommunismus. Eine andere Wand, eine aus Stimmen, wuchs vor Diego Rivera empor, die Anwesenden teilten sich in Gruppen, das Geschrei wuchs. Edsel Ford, der Sohn des Magnaten, bat um Ruhe, Rivera stieg auf eine Leiter, verkündete die Geburt einer neuen Kunst für die zukünftige Gesellschaft und mußte wieder hinuntersteigen, als ihn gelbe und rote Farbe aus Eimern traf, von Provokateuren gespritzt, Rivera selbst hatte sie vorher instruiert, und schon pflanzte sich eine andere Brigade von Arbeitern, die Diego ebenfalls vorher eingewiesen hatte, vor dem Wandbild auf und verkündete, man werde ständig wachen, um es zu schützen.
    Diego, Frida und Laura fuhren am nächsten Morgen mit dem Zug nach New York, um mit den geplanten Wandbildern im Rockefeller Center zu beginnen. Rivera war euphorisch, er wischte sich das Gesicht mit Benzin sauber, glücklich wie ein mutwilliges Kind, das seinen nächsten Spaß vorbereitet und immer wieder triumphiert: Von den Kapitalisten als Kommunist und von den Kommunisten als Kapitalist angegriffen, fühlte sich Rivera als reiner Mexikaner, als spottsüchtiger, spitzbübischer Mexikaner, mit mehr Stacheln als ein Stachelschwein, um sich gegen die Dreckskerle hier wie dort zu wehren, ohne die Ressentiments, die die Dreckskerle hier wie dort von vornherein besiegten, begeistert, die Zielscheibe des Nationalsports zu sein, Diego Rivera anzugreifen, was ihn zur nationalen Größe gegen die Gringos machte, Diego, der dicke Puck, der nicht im Laubwerk eines Sommernachtswaldes versteckt war, sondern die Welt vom Bretterwald seines Malergerüstes aus verlachte, eine Minute, bevor er zu Boden fiel und entdeckte, daß er einen Eselskopf hatte, doch er fand einen liebevollen Schoß, wo er Schutz suchen und von der Königin der Nacht liebkost werden konnte, die nicht den häßlichen Esel, sondern einen verzauberten Prinzen sah, den in einen Prinzen verwandelten Frosch, den der Mond geschickt hatte, um seine kleine Frida zu lieben und zu beschützen: »Mein liebes Mädchen, mein angebetetes, zerschlagenes, schmerzensreiches Kindchen, alles geschieht für dich, das weißt du, nicht wahr? Und wenn ich dir sage, Frida: ›Laß dir helfen, Ärmstes was sage ich dir dann anderes als: ›Hilf mir, mir Ärmstem, hilf deinem Diego?‹«
    Sie baten Laura, die Koffer mit den Sommersachen und die Pappkisten voller Papiere nach Mexiko zurückzuschaffen, sie sollte im Haus in Coyoacăn alles in Ordnung bringen, und dort konnte sie auch wohnen, wenn sie wollte. Sie mußten ihr nicht mehr sagen, Laura begriff, daß sie nach der Fehlgeburt einander mehr denn je brauchten, daß Frida längere Zeit nicht arbeiten würde und daß sie Laura in New York nicht benötigte. Frida hatte dort viele Freunde, es begeisterte sie, mit ihnen zum Einkaufen und ins Kino zu gehen, es gab ein Festival mit Tarzanfilmen, das sie nicht verpassen wollte, Filme mit Gorillas gefielen ihr sehr, »King Kong« hatte sie sich neunmal angesehen, diese Filme gaben ihr die gute Laune zurück, sie lachte über sie, lachte und lachte.
    »Weißt du, Diego fällt es schwer, im Winter einzuschlafen. Ich muß jetzt jede Nacht bei ihm sein, damit er für das neue Wandbild Ruhe und Kraft findet. Laura., vergiß nicht, eine Puppe in mein Bett in Coyoacăn zu setzen.«

 
XI. Avenida Sonora: 1934
     
    Eines Tages waren die Tanten Hilda und Virginia verschwunden.
    Ihre Schwester Leticia stand um sechs Uhr auf, ihre

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