Die Jahre mit Laura Diaz
maßlose Enttäuschung habe sie zur Lüge verleitet: sich berechtigt zu fühlen, die eheliche Gemeinschaft aufzukündigen und sich dem zu widmen, was zwei Welten, die innere ihres Ressentiments und die äußere der kapitalistischen Gesellschaft, als die vertretbare Rache einer gedemütigten Frau sanktionierten: Lust und Unabhängigkeit.
Laura wußte inzwischen nicht mehr, ob sie das eine oder das andere wirklich genossen hatte. Sie hatte sich Elizabeth angeschlossen, bis deren Großzügigkeit zu Bevormundung, zu Gereiztheit und schließlich zu Geringschätzung wurde. Sie hatte sich der Liebe zu Orlando hingegeben, bis sich die Leidenschaft als Spiel und Täuschung erwies. Sie hatte eine neue Gesellschaft aus Künstlern, alten Familien und reichen Emporkömmlingen kennengelernt, die allerdings hatte sie nicht getäuscht, denn auf den Festen Carmen Cortinas war der Schein das Sein und die Wirklichkeit deren Maske.
Als sie nützlich sein, sich nützlich fühlen und glauben wollte, daß sie zu etwas gut war, war sie bei Kahlo und Rivera gelandet, ihre ganze Dankbarkeit diesem außergewöhnlichen Paar gegenüber, das sie in einem schlimmen Augenblick aufgenommen und sie wie eine Freundin und Gefährtin behandelt hatte, verbarg indes nicht die Tatsache, daß Laura in der Welt der beiden Künstler eine untergeordnete Rolle gespielt hatte, sie war ein ersetzbarer Teil in einem Räderwerk gewesen, das wie die von Diego in Detroit gefeierten Maschinen aus glänzendem Stahl funktionierte, allerdings auf Pfeilern, so schwach wie Frida Kahlos verkrüppelte Beine. Die beiden genügten sich selbst. Laura würde sie immer lieben, doch sie machte sich keine Illusionen: Auch wenn ihre Liebe erwidert wurde, gebraucht wurde sie nicht.
»Was brauche ich, Mama, wer braucht mich?« schloß Laura, nachdem sie Leticia nun doch alles erklärt hatte, alles, was sie ihr eigentlich nicht hatte sagen wollen, wie sie sich geschworen hatte, und wovon sie nun, nachdem sie es hastig hervorgestoßen hatte, die unermüdlichen Hände ihrer Mutter in ihren, nicht wußte, was sie wirklich gesagt und was Leticia wieder einmal an Gefühlen und Gedanken ihrer Tochter erraten hatte.
»Sprich weiter«, bat Leticia, und Laura wußte, daß sie alles wußte.
»Dann sollen die Kinder also weiter hierbleiben?«
»Nur so lange, bis du wieder mit deinem Mann zusammengefunden hast.«
»Und wenn wir uns nicht verstehen?«
»Ihr werdet euch nie verstehen. Das ist das Problem. Es kommt darauf an, daß du eine ernsthafte Aufgabe übernimmst und dich entscheidest, ihn zu retten, anstatt darauf zu warten, daß man dich rettet, wie du es bisher getan hast – entschuldige, daß ich dir das sage.«
»Selbst wenn ich weiß, daß es wieder schlecht ausgeht?«
Leticia nickte. »Wir müssen manches tun, von dem wir wissen, daß es mißlingt.«
»Was gewinne ich dabei, Mutti?«
»Ich würde sagen, die Chance, du selbst zu sein und deine Mißerfolge zu überwinden. So erlebst du sie nicht noch einmal.«
»Mit offenen Augen in die Katastrophe zu rennen, Mama, verlangst du das von mir?«
»Man muß die Dinge zu Ende bringen. Du läßt zu vieles ohne Abschluß, kämpfst mit zu vielen ungeklärten Problemen. Sei du selbst, nicht das Spielzeug der anderen, selbst wenn es dich teuer zu stehen kommt, etwas wahrhaftiger zu sein.«
»War all das, was ich erlebt habe, seit ich Orlando verlassen habe, denn nicht wahrhaftig?«
Diesmal gab Leticia keine direkte Antwort, sondern überreichte ihrer Tochter die chinesische Puppe.
»Nimm. Bei deinem letzten Besuch hast du sie vergessen. Jetzt hat Señora Frida sie nötig.«
Laura nahm Li Po, küßte Danton und Santiago, die schlafend in ihren Betten lagen, und fuhr zurück, um das zu tun, was sie schon beschlossen hatte, bevor sie nach Xalapa gereist war.
In der ersten gemeinsamen Nacht lagen die beiden nebeneinander wie in einem Grab, ohne Herzenswärme und ohne Vorwürfe, doch auch ohne sich gegenseitig zu berühren, sie waren übereingekommen, sich einige Dinge zu sagen, zu bestimmten Kompromissen zu finden. Auch der körperlichen Liebe würden sie ihre Chance geben, aber sie wollten sie nicht als eine Pflicht voranstellen. Statt dessen wollten sie nebeneinanderliegen und mit einigen Fragen und vorsichtigen Erklärungen beginnen. »Du verstehst, Juan Francisco, noch bevor ich dich zum erstenmal sah, kannte ich dich schon durch das, was man über dich erzählte, du hast nie mit etwas geprahlt, das kann ich dir nicht vorwerfen,
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