Die Jahre mit Laura Diaz
still.
»Ich will mein Kind sehen.«
»Es ist nur ein Fötus, Frida.«
»Das macht nichts.«
»Die Ärzte erlauben es nicht.«
»Sag ihnen, es ist aus künstlerischen Gründen.«
»Frida, es sind nur kleine Teile herausgekommen. Es hatte sich in deinem Bauch zersetzt. Es hatte keine Gestalt.«
»Dann gebe ich ihm eine.«
Sie schlief. Erwachte. Vertrug die Hitze nicht. Stand auf. Wollte fliehen. Man brachte sie wieder ins Bett. Sie wollte das Kind sehen. Diego besuchte sie, zärtlich, verständnisvoll, fern, es drängte ihn, wieder zur Arbeit zurückzukehren. Sein Blick haftete auf der fernen Wand, nicht auf der Frau vor ihm.
In einer Nacht hörte Laura ein Geräusch, das sie vergessen hatte und das sie in ihre Kindertage im Urwald von Catemaco zurückversetzte. Sie schlief in einem Feldbett in Fridas Krankenhauszimmer, und das Geräusch weckte sie. Sie sah, daß Frida vollständig nackt im Bett lag, sah ihren zerschlagenen Körper, ein Bein dünner als das andere, die Vagina blutete eine Fontäne von Nelken aus, der Rücken war wie ein blindes Fenster verschraubt, und das Haar wuchs ihr zusehends, in Sekundenschnelle, wurde immer länger, die einzelnen Härchen quollen ihr wie Medusen aus dem Schädel hervor, krochen wie Spinnen über das Kissen, wanden sich wie Schlangen über die Matratze hinab, schlugen rings um die Bettpfosten Wurzeln, während Frida die Hände ausstreckte und ihr die verletzte Vagina zeigte und bat, sie solle sie berühren, sie brauche keine Angst zu haben, »wir Frauen sind innerlich rosa, hol mir die Farben aus dem Geschlecht, bestreiche mir damit die Finger, bring mir Pinsel und ein Heft, Laura, starre mich nicht so an, wie sieht eine nackte Frau eine andere nackte Frau? Denn auch du bist nackt, Laura, obwohl du es nicht weißt, ich ja, ich sehe dich, du hast den Kopf voller Bänder, und hundert Nabelschnüre schlingen sich um deine Schenkel: Ich träume deine Träume, Laura Dïaz, ich sehe, daß du von Schnecken träumst, von unsagbar langsamen Schnecken, die deine Jahre mit einer unbeständigen, schleimigen Langsamkeit durchlaufen, und sie merken nicht, daß sie in einem Garten sind, der auch ein Friedhof ist, und daß die Pflanzen in diesem Garten weinen und schreien und nach Milch verlangen, sie wollen die Brust haben, die Pflanzenmädchen sind hungrig, die Schneckenjungen sind taub und kümmern sich nicht um ihre Mütter, nur ich sehe sie, ich höre und verstehe sie, nur ich sehe die wirklichen Farben der Welt, der Schneckenjungen, der Pflanzenmädchen, des mütterlichen Waldes, sie sind blau, grün, gelb, solferinorot, amaranten… Die Erde ist Garten und Grab, und was du siehst, ist wahr, das Krankenhauszimmer ist der einzige üppige Urwald in diesem Detroit genannten Ödland aus Zement, der Krankenhausraum füllt sich mit gelben Papageien, grauen Katzen, weißen Adlern und schwarzen Affen, alle bringen mir Geschenke außer dir, Laura, was wirst du mir schenken?«
Diego besuchte sie und bat Laura, ihr Hefte, Stifte und Aquarellfarben zu bringen. Den beiden genügten ein Blick und ein paar Worte.
»Mein hübscher Kleiner, wenn man es recht bedenkt, bist du gar nicht so häßlich, wie manche sagen.«
»Meine kleine Frida, ich liebe dich immer mehr.«
»Wer hat dir gesagt, daß du häßlich bist, mein Liebster?«
»Hier, ein Zeitungsausschnitt aus Mexiko. Man nennt mich den fetten Vitzliputzli.«
»Und mich?«
»Eine heruntergekommene Göttin Coatlicue.«
Sie lachte, nahm Lauras Hand, alle lachten lange. Und Laura?
»Ich taufe dich Obsidianschmetterling«, sagte Diego. »Das sage ich.«
Laura saß neben Frida und reichte ihr Stifte, Pinsel, Farben, Papier, und Frida malte, während sie redete, ebenso wie ihr Mann, als könnte keiner von beiden etwas ohne den schützenden Schatten des Wortes gestalten, das dem Künstler fremd und zugleich sein unentbehrlicher Schatten ist. Frida redete mit Laura, redete mit sich selbst, redete mit Laura, bat sie, ihr einen Spiegel vorzuhalten, damit sie sich ansehen konnte, und Laura, die die kleine, im Bett zusammengekrümmte Frau mit dem verschmierten Haar, den rebellischen Brauen und dem ungestutzten Schnurrbart betrachtete, konnte nichts tun, und Frida sagte, sie solle gründlich darüber nachdenken, ein Körper zu sein sei das eine, schön zu sein etwas anderes, vorläufig genüge es ihr zu wissen, daß sie ein Körper sei, daß sie überlebt habe, die Schönheit komme danach, zuerst müsse man den Körper gestalten, der ständig
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