Die Jahre mit Laura Diaz
nicht. Deine dich liebenden Schwestern Virginia und Hilda.«
»Deine Tanten sind nicht wieder aufgetaucht«, sagte Leticia zu Laura. »Den Wagen hat man in einer Kurve auf dem Weg nach Acayucan entdeckt. Zampayita war mit Dolchstichen durchbohrt, als man ihn ausgerechnet in dem Bordell fand, in dem, entschuldige, Tochter, Maria de la O aufgewachsen ist. Sieh mich nicht so an. Das ist alles mehr als mysteriös, und ich werde es nicht aufklären. Ich zerbreche mir den Kopf schon genug wegen dem, was ich weiß, da brauche ich mir nicht noch mehr aufzuladen.«
Laura war nach Xalapa gekommen, sobald sie erfahren hatte, daß die beiden Tanten verschwunden waren, vom schrecklichen Ende des treuen, langjährigen Dieners hatte sie jedoch noch nichts gewußt. Es schien, als wäre der böse Geist La Triestinas –der Mutter Maria de la Os – zurückgekehrt, ebenso schwarz wie ihre Haut, um sich an allen zu rächen, die an einem Schicksal beteiligt waren, das, wie ihre eigene Tochter sagte, die Mutter überschwenglich gepriesen hatte: »Wie glücklich ich als Hure war! Hurensöhne sollen die sein, die aus mir eine anständige Frau gemacht haben!«
Leticia erklärte Laura, was diese schon immer gewußt hatte. Die Mutti kümmerte sich nicht um Klatsch und Tratsch, sie setzte sich mit den Dingen auseinander, wenn sie mit ihnen konfrontiert wurde. Sie brauchte sich nicht lange zu fragen, weil sie alles verstand, und was sie nicht verstand, dazu erfand sie ihre eigene Geschichte.
Als Laura in ihr Veracruzaner Zuhause zurückgekehrt war, begriff sie rückblickend, daß Leticia alles über sie wußte, über ihre gescheiterte Ehe mit Juan Francisco, ihre Rebellion gegen den Ehemann, die sich in der bequemen, gönnerhaften Bevormundung durch Elizabeth und schließlich in der so leeren wie unnützen Beziehung zu Orlando verflüchtigt hatte – und trotzdem, waren diese für sich so entbehrlichen Etappen nicht unentbehrlich gewesen, um einzelne Augenblicke zu sammeln, deren Summe sie zu einer neuen, wenn auch noch vagen, nebelhaften Sicht der Dinge führte.
Leticia nutzte den Anlaß, daß die alten Jungfern geflohen waren, dazu, Laura tief in die Augen zu sehen und sie um das zu bitten, was Laura ihr dann sagte: »Für dich und das Tantchen ist es eine große Last, daß ihr euch um die zwei Jungen kümmern müßt, die nun bald zwölf und elf werden. Ich nehme sie mit in die Hauptstadt, und dich und das Tantchen auch.«
»Wir bleiben hier, Tochter. Wir kommen gut miteinander aus. Du mußt deine Eheprobleme allein lösen.«
»Ja, Mutti. Juan Francisco erwartet uns im Haus an der Avenida Sonora. Aber wie ich dir schon gesagt habe, wenn ihr, du und deine Schwester, zu uns kommen wollt, suchen wir selbstverständlich ein größeres Haus.«
»Finde dich damit ab, ohne uns auszukommen«, sagte Leticia lächelnd. »Ich werde im Leben nicht aus dem Staat Veracruz fortgehen. Die Hauptstadt macht mir angst.«
Mußte Laura, nachdem Orlando sie verlassen hatte, noch ihren Entschluß erklären, warum sie wieder mit Juan Francisco zusammenleben wollte, nicht aus Schwäche, sondern aufgrund eines starken, unentbehrlichen Willensakts, der für sie die Lehren aus ihrem Leben mit Orlando zusammenfaßte? Sie hatte ihrem Mann einen grundsätzlichen Mangel an Aufrichtigkeit vorgeworfen, um es nicht Feigheit, nicht Verrat zu nennen, der ihn ihr für immer verhaßt machen sollte, wie auch sie selbst da nicht auszunehmen war, denn die Entschuldigungen, die sie dafür hätte vorbringen können, daß sie den Arbeiterführer geheiratet hatte, schienen ihr nun unzulänglich, so sehr sie sich auch mit Jugend und Unerfahrenheit begründen ließen.
Das alles hätte Laura gern ihrer Mutter gesagt, als sie an diesem Nachmittag in der Stadt ihrer Jugend bei ihr war, doch Leticia selbst hielt sie mit einer kategorischen Erklärung zurück: »Wenn du willst, kannst du die Kinder hierlassen, bis du die Probleme mit deinem Mann in Ordnung gebracht hast und ihr euch wieder an das Eheleben gewöhnt habt. Aber das weißt du ja.«
Beinahe hätten die beiden wie aus einem Munde gesagt: »Sprich weiter!«, doch sie wußten auch so, daß sie kein Wort wechseln mußten, um alles zu wissen – über Lauras gescheiterte Ehe und ihren Entschluß, trotz allem zu Juan Francisco zurückzukehren und ihrer Ehe und den Kindern eine zweite Chance zu geben. Ja, beinahe hätte sie gesagt, sie hätte die hinter ihr liegenden Lebensjahre vergeudet, habe sich furchtbar geirrt, die
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