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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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»Gib mir die Tafeln herüber, Laura.«
    Als sich die Leitung des Krankenhauses über die wachsende Unordnung im Zimmer beschwerte, über die überall verstreuten Papiere und den Geruch der Farben, erschien Diego wie Gott in den klassischen Tragödien als donnernder Jupiter und sagte auf englisch, diese Frau sei eine Künstlerin, ob die Idioten das nicht begriffen? Er schimpfte, aber zu ihr sagte er es voller Liebe und Stolz: »Diese Frau, die meine Frau ist, legt die ganze Wahrheit, den Schmerz und die Grausamkeit der Welt in die Malerei, zu der das Leid sie gezwungen hat: Sie sind in diesem Krankenhaus Tag für Tag vom Leid umgeben, aber Sie haben nie eine so poetische Agonie gesehen, Sie verstehen das nicht…«
    »Mein hübscher Kleiner«, sagte Frida.
    Als sie sich endlich wieder ausreichend bewegen konnte, kehrten sie ins Hotel zurück, und Laura ordnete Fridas Zeichnungen. Eines Tages dann besuchten die beiden Diego bei seiner Arbeit im Institut. Das Wandgemälde war weit fortgeschritten, aber Frida erkannte sofort, welches Problem es gegeben und wie der Maler es gelöst hatte. Die glänzenden, alles verschlingenden Maschinen knäuelten sich wie große Stahlschlangen zusammen und verkündeten ihre Überlegenheit über die graue Welt der Arbeiter, die sie bedienten. Vergebens suchte Frida nach den Gesichtern der nordamerikanischen Arbeiter, und sie begriff. Diego hatte sie alle von hinten gemalt, weil er sie nicht verstand, weil sie ausdruckslose, plumpe Mehlgesichter hatten. Dagegen hatte er dunkle Gesichter gesetzt, von Schwarzen und Mexikanern, die den Betrachter ansahen. Die Welt.
    Die zwei Frauen brachten ihm jeden Tag in einem Korb ein gutes, leckeres Essen, und sie setzten sich wortlos hin, um ihm beim Arbeiten zuzusehen, während er seinen Wortschwall von sich gab. Frida lutschte löffelweise Milchgelee aus Celaya, das sie mitgebracht hatte, um sich den Magen nach Herzenslust zu überladen, jetzt noch mehr, da sie wieder zu Kräften kam. Laura trug ein einfaches Kostüm, während sich Frida immer auffälliger mit grünen, violetten und gelben Umschlagtüchern, bunten Zöpfen und Jadeit-Halsketten herausputzte.
    Rivera hatte in seinem Bild der Industrie drei Flächen frei gelassen. Immer aufmerksamer sah er die beiden Frauen an, die neben den Gerüsten saßen und ihm bei der Arbeit zusahen, Frida lutschte an ihrem Gelee und klirrte mit ihren Halsketten, Laura schlug wohlanständig die Beine übereinander, weil die Gehilfen des Malers sie anstarrten.
    Tage später kamen die beiden Frauen herein und entdeckten sich selbst, sie waren in Männer verwandelt, in zwei Arbeiter mit kurzem Haar und langem Overall, mit blauen Hemden und Händen in Handschuhen, die eiserne Werkzeuge packten. Frida und Laura beanspruchten für sich das ganze Licht des Gemäldes am unteren Ende der Wand, Laura mit ihren markanten, eckigen Zügen, dem wie mit der Axt behauenen Profil, den Augenringen, dem Haar, das nun kürzer war und ohne Dauerwelle, die die Veracruzanerin mit der Stirnlocke und der Pagenfrisur mittlerweile ablehnte, Frida trug ebenfalls kurzes Haar, männliche Koteletten und dichte Brauen, und doch hatte der Maler ihr männlichstes Merkmal weggelassen, das Oberlippenbärtchen, wie das Modell amüsiert und verblüfft feststellte: »Ich male mich aber mit Bart, du.«
    In der Wandmitte und dem oberen Teil des Freskos blieb je eine weitere weiße Fläche übrig. Unruhig betrachtete Frida diesen leeren Raum, bis sie eines Nachmittags Lauras Hand ergriff und sagte: »Gehen wir.« Sie nahmen ein Taxi, kamen ins Hotel, und Frida riß ein großes Stück Papier ab, breitete es auf dem Tisch aus und zeichnete immer wieder, unablässig, die Sonne und den Mond, den Mond und die Sonne, voneinander getrennt und nebeneinander.
    Laura blickte durch das hohe Fenster des Hotelzimmers, um den Fixstern und seinen Trabanten zu suchen, die Frida in den gleichen Rang von Tages- und Nachtgestirnen erhoben hatte, Sonne und Mond, die Venus geboren hatte, das erste Gestirn des Tages und das letzte der Nacht, Mond und Sonne hatten den gleichen Rang, aber waren einander in ihren Zeiten entgegengesetzt, in denen sie von den Augen der Welt, nicht von denen des Universums, gesehen wurden. Laura, womit wird Diego diese weißen Flächen auf seinem Bild ausfüllen?
    »Er macht mir angst. Nie hat er ein solches Geheimnis für sich behalten.«
    Sie erfuhren es erst am Tag der Einweihung. Eine Heilige Familie von Arbeitern leitete das Werk der Maschinen

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