Die Jahre mit Laura Diaz
eifrigen väterlichen Sorge um die Kinder, die er sechs Jahre nicht gesehen hatte, mit seiner neuen Selbstverpflichtung, Laura zu erklären, was er tagsüber getan hatte, ohne jemals von ihr Erklärungen zu verlangen, mit seiner indirekten und schwerfälligen Art, Liebe zu erbitten, indem er unter den Bettüchern mit seinem Bein ein Bein Lauras anstieß oder plötzlich nackt aus dem Bad auftauchte und wie ein Tölpel nach seinem Pyjama suchte, ohne an den Rettungsring zu denken, der sich an seiner Gürtellinie hervorwölbte, denn er hatte seine charakteristische Schlankheit eines dunkelhäutigen Mestizen verloren. Bis er sie endlich zwang, die Initiative zu ergreifen, den Akt zu beschleunigen, mechanisch die eheliche Pflicht zu erfüllen.
Sie fand sich mit allem ab, bis zu dem Tag, an dem ein Schatten immer deutlicher hervortrat, zuerst ungreifbar im Verkehr der Avenida, dann bekam er feste Gestalt auf dem Bürgersteig gegenüber, und schließlich zeigte er sich offen einige Schritte hinter ihr, wenn Laura zum Markt ging oder von dort kam, nachdem sie ihre täglichen Besorgungen erledigt hatte. Sie wollte kein Dienstmädchen nehmen. Die Erinnerung an die Nonne Gloria Soriano schmerzte sie zu sehr, und die Hausarbeit füllte ihre einsamen Stunden aus.
Was bei dieser Entdeckung überraschend wirkte: Als Laura erkannte, daß sie von einem Handlanger ihres Mannes überwacht wurde, nahm sie es zunächst nicht ernst, und doch berührte es sie tiefer, als sie gedacht hatte. Juan Francisco blieb damit nur ein einziger Ausweg, der sehr schmal war, ganz im Gegensatz zu der breiten Allee, an der sie wohnten. Sie beschloß allerdings, ihn nicht direkt zu überwachen – wie er es auf seine bornierte Art tat –, sondern eine wirkungsvollere Waffe zu gebrauchen. Moralischen Druck.
Lâzaro Cârdenas, ein General aus Michoacan, der ehemalige Gouverneur seines Heimatstaates und Vorsitzender der offiziellen Partei, war zum Präsidenten gewählt worden, und alle dachten, daß er eine weitere Marionette des obersten Revolutionsführers, General Plutarco Elias Galles, sein würde. Der Spott hatte solche Ausmaße angenommen, daß ein Witzbold während der Präsidentschaft von Pascual Ortiz Rubio ein Schild an der Tür der offiziellen Residenz in Chapultepec anbrachte: »Der Präsident wohnt hier, der wahre Herr hinter der nächsten Tür.« Abe-lardo Rodriguez, der nächste Präsident und Strohmann des »Obersten Führers«, unterdrückte einen Streik nach dem anderen, zuerst den der Telegrafisten, danach den der Tagelöhner in Nueva Lombardia und Nueva Italia in Michoacan – sie stammten aus Italien und waren an die Kämpfe der Kommunistischen Partei Antonio Gramscis gewöhnt – und schließlich die nationale Bewegung der Landarbeiter in Chiapas, Veracruz, Puebla und Nuevo Leon: Präsident Rodriguez befahl die Entlassung der Streikenden und ersetzte sie durch Soldaten, die von der Regierung beherrschten Gerichte erklärten einen Streik nach dem anderen für »unberechtigt«, Armee und Weißgardisten ermordeten mehrere zu den italienisch-mexikanischen Gemeinschaften gehörende Arbeiter, und Abelardo schickte die nationalen Streikführer, die für einen Mindestlohn kämpften, in die trostlose Strafkolonie auf den Islas Marias, darunter den jungen Schriftsteller José Revueltas.
Die alte CROM von Luis Napoleon Morones erwies sich als unfähig, die Werktätigen zu verteidigen, und zerfiel immer weiter, während der Stern eines neuen Führers aufstieg, der Stern Vicente Lombarde Toledanos, der zunächst ein thomistischer Philosoph gewesen war und nun Marxist, eine asketische Gestalt mit einem traurigen Blick, mager und zerzaust, stets mit einer Pfeife im Mund: Lombardo stand an der Spitze der CGOCM, des Allgemeinen Arbeiter- und Bauernverbandes Mexikos, den er zu einem echten Kampfinstrument der Arbeiter entwickelte. Die Werktätigen, die für Land, gerechte Löhne und Kollektiwer-träge kämpften, schlössen sich nach und nach in der CGOCM zusammen, und weil der neue Präsident Cärdenas den Gewerkschaftskampf in Michoacan unterstützt hatte, mußte sich nun alles ändern: Es ging nicht mehr um Galles und Morones, sondern um Cärdenas und Lombardo.
»Und die Unabhängigkeit der Gewerkschaften, wo bleibt die, Juan Francisco?« Laura hörte, wie das eines Abends der einzige alte Genösse sagte, der ihren Mann weiter besuchte, der ziemlich resignierte Pânfilo, der nichts fand, wohin er spucken konnte, denn auf Lauras Anweisung waren die
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