Die Jahre mit Laura Diaz
seit jenen der Nonne Sor Juana Inès de la Cruz im siebzehnten Jahrhundert hielten. Es war ein Gedicht über den Tod und die Form, die Form (das Gefäß), die den Tod hinauszögert – jenes Wasser, das sich bebend als der Daseinsgrund des Lebens selbst, als dessen Fluß behauptet. In der Mitte, zwischen Form und Fluß, steht der Mensch, im Profil seiner lebendigen Sterblichkeit, »mit mir erfüllt, in meiner Haut belagert von einem unfaßbaren Gott, der mich erstickt«.
Unter diesen mexikanischen Schriftstellern gab es wechselseitige Zuneigungen und unerbittliche Abneigungen, im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen schien Jaime Torres Bodet zu stehen, ein Lyriker und Romancier, der unschlüssig zwischen Literatur und Bürokratie schwankte und sich am Ende für die Bürokratie entschied, jedoch nie auf seine literarischen Ambitionen verzichtete. Barreda spielte manchmal die Rolle des Doktors Fu Tschan Li, eines von ihm erfundenen chinesischen Wäschers und Spions, und sagte zu Gorostiza: »Hüte dich vor Toles.«
»Was für einen Toles?«
»Toles Bodet.«
Darum fühlten sich Jorge Maura und seine Freunde wie zu Hause in dieser mexikanischen Nachgestaltung der Madrider Tertulia – einer Bezeichnung, daran erinnerte Villaurrutia, die sich von Tertullian ableitete, jenem Kirchenvater, der im zweiten Jahrhundert der Christenheit seine Freunde gern in sokratischen Gesprächsrunden vereinte; obwohl es schwierig sei, sich ein Streitgespräch mit einem solchen Dogmatiker wie Tertullian vorzustellen, der meinte, da die Kirche im Alleinbesitz der Wahrheit sei, müsse sie überhaupt nichts beweisen. Zu Ehren Tertullians improvisierte oder wiederholte Barreda ein paar komische Verse:
»So gekleidet, als ginge sie zu einer Tertulia, begab sich Judith auf den Weg nach Betulia…«
»Unsere Streitgespräche möchten sokratisch sein, aber manchmal werden sie eher tertullianisch«, sagte Jorge Maura warnend zu Laura Dïaz, bevor sie das Café betraten. Die übrigen Tertu-liagäste oder Sokratiker waren Basilio Baltazar, ein ungefähr dreißigjähriger, braunhäutiger Mann mit üppiger Mähne, dunklen Augenbrauen, glänzenden Augen und einem sonnenhaften Lächeln, und Domingo Vidal, dessen grob gekerbtes Gesicht seine Jahre zu bezeichnen schien. Er sah so aus, als wäre er einem steinernen Kalender entstiegen. Seine kurzgeschnittenen Haare schienen seine Gesichtszüge aggressiv und beweglich auszudehnen, als sollten sie die schläfrige Sanftmut des von dicken Augenlidern umschatteten Blicks ausgleichen.
»Stört es deine Genossen nicht, daß ich dabei bin, mein Hidalgo?«
»Ich möchte, daß du dabei bist, Laura.« »Du hättest es ihnen wenigstens vorher sagen sollen.« »Sie wissen, daß du mitkommst, denn du bist ich, und damit Schluß. Wenn sie das nicht begreifen, haben sie Pech.«
An jenem Nachmittag wollten sie über ein bestimmtes Thema diskutieren: über die Bedeutung der Kommunistischen Partei im Krieg. Vidal, das erfuhr Laura von Jorge, als sie das Café betraten, sollte die Rolle des Kommunisten und Baltazar die des Anarchisten übernehmen. Das hätten sie abgesprochen. »Und du?«
»Hör mir zu und entscheide selbst.«
Die Tertuliagäste hießen Laura ohne das geringste Zögern willkommen. Es überraschte sie, daß Baltazar und Vidal über den Krieg sprachen, als lebten sie ein, zwei Jahre vor jenen Geschehnissen, die inzwischen bereits stattfanden. Die Republik blickte nicht erst der Niederlage entgegen, sie hatte sie bereits erlitten. Der Blick Octavio Barredas zeigte lediglich Neugier: Mit wem war dieses Mädchen Laura Dïaz zusammen, die mit den Riveras in Detroit gewesen war, wo Frida ihr Kind verloren hatte? Villaurrutia und Gorostiza zuckten die Achseln.
Es begann ein Disput, den Laura gleich für vorausgeplant und vorhersehbar hielt, als wäre jedem Tertuliagast eine Rolle in einem vorformulierten Drama zugewiesen. Aber war ihr Eindruck nicht von dem bestimmt, was ihr Maura erklärt hatte? Vidal machte den Anfang, als habe ihm ein unsichtbarer Souffleur das Stichwort gegeben, und er argumentierte, daß sie, die Kommunisten, 1936 und 1937 die Republik gerettet hätten. Ohne sie wäre Madrid im Winter 1937 gefallen. Die Milizen und die Volksarmee hätten den Straßenunruhen in der Hauptstadt, dem Zusammenbruch der Lebensmittelversorgung, des Transportwesens und der Fabriken ohne die von der Partei erzwungene Ordnung nicht standgehalten.
»Du vergißt alle übrigen«, entgegnete Baltazar, »die
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