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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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Stadt ist gesetzestreu, weil sie republikanisch ist, es ist keine Stadt, die sich zusammen mit den Faschisten erhoben hat, diese Stadt wird rechtmäßig von einem gewählten kommunistischen Bürgermeister regiert, der bin ich, Âlvaro Méndez, und als Bürgermeister muß ich meine Pflicht erfüllen, so schrecklich und schmerzlich sie auch ist.«
    »Sie ist ungerecht«, sagte Basilio Baltazar mit fest zusammengebissenen Zähnen.
    »Ich will dir eins sagen, Basilio, und ich wiederhole es nicht noch einmal«, erklärte der Bürgermeister mitten in dieser Arena mit dem gelben Sand und den geschlossenen Fenstern, durch deren Gardinen neugierig schwarzgekleidete Frauen spähten. »Man beweist seine Treue, wenn man gerechten Befehlen gehorcht, und noch größere Treue, wenn es ungerechte Befehle sind.«
    »Nein.« Basilio hielt den Schrei zurück, der ihm in der Kehle würgte. »Die größte Treue besteht darin, ungerechten Befehlen nicht zu gehorchen.«
    »Sie hat uns verraten«, sagte der Bürgermeister. »Sie hat dem Feind gemeldet, wo in den Bergen sich die Stellungen der Republikaner befinden. Seht ihr die Lichter in den Bergen, diese Feuer da oben, die von Gipfel zu Gipfel fliegen, von allen genährt, im Namen aller, seht ihr diese Feuer wie aufleuchtende Monde, diese Fackeln aus Stroh und Reisig, diese Lichter, die sich gegenseitig hervorbringen, diese Flammenhaare? Das ist der brennende Bart der Republik, der Kreis, den wir um uns gezogen haben, um uns vor den Faschisten zu schützen. Das hat sie ihnen verraten!«
    Die Stimme des Bürgermeisters bebte in einem Zorn, der noch heftiger als die Berggipfel glühte. »Sie hat ihnen gesagt, wenn sie diese Lichter auslöschten, würden sie uns täuschen, und wir würden uns nicht mehr in acht nehmen. Sie hat ihnen gesagt: ›Löscht die Feuer in den Bergen, tötet die republikanischen Fackelträger, dann könnt ihr diesen irregeführten, schutzlosen Ort im Namen unseres Retters Franco einnehmen.‹«
    Seine schlangenhaften Lider befragten jeden einzelnen Soldaten. Er wollte gerecht sein. Er hörte sich ihre Argumente an. Sie wurden unterbrochen, als ein Balkon geräuschvoll aufging und ein herzzerreißender Schrei erklang. Eine Frau mit mondfarbenem Gesicht und maulbeerfarbenen Augen erschien, ganz schwarzgekleidet, mit verhülltem Kopf und einer abgenutzten, dünnen, beinahe durchsichtigen Haut, wie ein Stück Papier, auf dem man mehr als das ausradiert hatte, was dort geschrieben stand. Méndez, der Bürgermeister von Santa Fe de Palencia, kümmerte sich nicht um sie. Er verlangte noch einmal: »Redet.«
    »Retten Sie sie im Namen der Ehre«, sagte Jorge  Maura.
    »Ich liebe Pilar«, schrie Basilio Baltazar, lauter als die Frau auf dem Balkon. »Retten Sie sie im Namen der Liebe.«
    »Sie muß im Namen der Gerechtigkeit sterben.« Der Bürgermeister setzte seinen Stiefel in den makellos reinen Sand und blickte hilfesuchend den Kommunisten Vidal an.
    »Retten Sie sie gegen die politische Vernunft«, sagte dieser.
    »Die Zeiten sind ungünstig.« Der Alte wollte lächeln, doch schließlich blieb er ernst. »Sehr ungünstig.«
    Da schrie die Frau auf dem Balkon: »Hab Erbarmen!«, und der Bürgermeister sagte: »Man darf meine Pflicht, Gerechtigkeit zu üben, nicht mit dem Zorn meiner Frau durcheinanderbringen.« Und die Frau schrie wieder vom Balkon: »Hast du nur fliehten als Bürgermeister und Kommunist?«, und der Alte kümmerte sich abermals nicht um sie, er sprach nur zu Vidal, –Baltazar und Maura: »Ich gehorche nicht meinen Gefühlen, ich gehorche Spanien und der Partei.«
    »Hab Erbarmen!« schrie die Frau.
    »Es ist deine Schuld, Clemencia, du hast sie gegen meinen Willen katholisch erzogen«, antwortete ihr schließlich der Bürgermeister, wobei er ihr den Rücken zukehrte.
    »Verbittere mir nicht den Rest meines Lebens, Ălvaro.«
    »Man darf einen Familienstreit nicht über das Gesetz stellen.«
    »Streit erwächst manchmal nicht aus Haß, sondern aus übermäßiger Liebe«, schrie Clemencia, legte den Umhang ab, der ihren Kopf bedeckt hatte, und ließ das wirre weiße Haar und die Ohren sehen, in denen so viele Prophezeiungen gellten.
    »Unsere Tochter steht draußen, am Stadttor. Was wirst du mit ihr tun?«
    »Sie ist nicht mehr eure Tochter. Sie ist meine Frau«, sagte Basilio Baltazar.
    Jemand ließ in jener Nacht die Ochsen auf den Platz von Santa Fe laufen. Nach und nach erloschen die Feuer in den Bergen.
    »Der Himmel ist voller Lügen«, sagte

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