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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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spanischen Faschisten bekämpft.« Basilio erschöpfte sich in einer noch hochgradigeren Verzweiflung.
    »Das sage ich als Anwalt des Teufels, Basilio. Die Nazis haben die Welt getäuscht. Sie eignen sich allmählich ganz Europa an, und niemand wehrt sich gegen sie. Die naiven oder feigen Franzosen und Engländer glauben, daß man mit Hitler paktieren kann. Nur hier führen die Nazis niemanden hinters Licht.«
    »Hier? In Mexiko?« fragte Laura lächelnd, um die Spannung zu verringern.
    »Pardon, pardon mille fois.« Vidal lachte. »In Spanien. Ich rede von Spanien.«
    »Ich bitte um Verzeihung.« Laura lächelte erneut. »Ich verstehe Ihr ›hier‹, Señor Vidal. Ich würde allerdings: ›hier in Mexiko‹ sagen, wenn ich in Spanien wäre, entschuldigen Sie.«
    »Was trinken Sie?« fragte Basilio.
    »Schokolade. Das tut man hier so. Bereitet mit einem kleinen Quirl und Wasser. Mutti, das heißt meine Mutter…«
    »Nun ja«, Vidal kehrte zu seinem Thema zurück, »man muß einen klaren Kopf bewahren und dicke Schokolade kochen, nichts für ungut. Wenn die Nazis in Spanien gewinnen, wird Europa vielleicht aufwachen. Es wird das Grauen erleben. Wir kennen es schon. Um den großen Krieg zu gewinnen, müssen wir die Schlacht um Spanien womöglich verlieren – damit wir die Welt vor dem Übel warnen. Spaniens kleiner Krieg, la petite guerre d'Espagne« – Vidal verzog den Mund.
    Jorge schlief unruhig, er sprach im Schlaf, stand auf, um Wasser zu trinken und danach zu urinieren, anschließend blieb er mit abwesendem Blick in einem Sessel sitzen. Die nackte und ebenfalls unruhige Laura beobachtete ihn, zufrieden hatte sie die Lust genossen, die ihr Jorge  bereitet hatte, doch besorgt spürte sie, daß es nicht um sie gegangen war, sondern um eine Art Linderung.
    »Rede mit mir. Was ist es? Ich möchte es wissen. Ich habe das Recht, es zu erfahren, Jorge . Ich liebe dich. Was ist? Was ist geschehen?«
    Der Ort ist schön und abweisend, als ginge er langsam zugrunde und wollte nicht, daß jemand seine Agonie mit ansieht, wünschte aber zugleich einen Zeugen für seine todgeweihte Schönheit. Sein Antlitz trägt die übereinander eingeprägten Siegel der Jahrhunderte, seit der Gründung durch die Iberer, einen barbarischen Goldhelm, der den Wert eines Tontopfes hat. Das römische Tor, das von Zeit und Unwettern zerfressen als Markstein der Macht und als Legitimitätsbekundung überdauert. Die große mittelalterliche Stadtmauer, der Ring um den kastilischen Marktflecken und dessen Schutz gegen den Islam, der dennoch überall eindringt, mit Worten wie almohada – Kissen – und azotea – Dachterrasse –, mit Sauberkeit und abscheulichen Lüsten dienenden Wasserbehältern, der Artischocke, die sich wie eine eßbare Nelke entblättern läßt, dem Rundbogen der christlichen Kirche und den maurischen Verzierungen der Türen und Fenster in der Nähe der menschenleeren, verfallenen Synagoge, deren Inneres von Verwahrlosung und Vergessen heimgesucht wird.
    Der von der Mauer aus dem 12. Jahrhundert eingeschlossene Ort Santa Fe de Palencia hat ein einziges Zentrum, einen Nabel, in dem die Geschichte der Gemeinde zusammenfließt. Ihr zentraler Platz ist die Stierkampfarena, ein Kreis aus leuchtendgel-bem Sand, der darauf wartet, daß in ihm die zweite Farbe der spanischen Fahne vergossen wird, ein Platz, der keine Stufen auf der Sonnen- und Schattenseite hat, sondern von Häusern mit außerordentlich großen Fenstern umgeben ist, deren Gitter sonntags geöffnet werden, damit man den Corridas zusehen kann, die den Ort mit Vorahnungen und Lebenskraft erfüllen. Es gibt nur einen Zugang zu diesem großen, geschlossenen Platz.
    Die drei Soldaten der Republik sind in dieses einzigartige Stadtzentrum gekommen, und dort erwartet sie der Bürgermeister Don Âlvaro Méndez, ein Kommunist. Er trägt keine Uniform, er hat eine kurze Weste und einen großen Bauch, ein Hemd ohne Kragen und Stiefel ohne Sporen. Das Auffälligste an ihm ist sein Gesicht mit den dichten Brauen, die Bögen wie Eingänge zu einer Moschee bilden. Seine Augen haben sich vor langer Zeit unter den bejahrten Lidern verschleiert, man muß den harten, geheimnisvollen Glanz am Grund dieses unsichtbaren Blicks erraten. Die Blicke der drei Soldaten sind dagegen offen, freimütig und erstaunt. Der Alte erkennt, was ihre Blicke bedeuten, und er sagt: »Ich erfülle nur meine Pflicht. Habt ihr das römische Tor gesehen? Es geht nicht um eine Partei, es geht um das Recht, diese

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