Die Jahre mit Laura Diaz
Clemencia mit matter Stimme, bevor sie die Gardinen des Balkons zuzog.
(»Ich muß dir von Pilar Méndez erzählen…«)
Das Thema beim nächsten Treffen im Café de Paris war scheinbar ein einziges: die Gewalt, ihre Keime, ihre Entstehung, ihre Geburt, ihre Beziehung zu Gut und Böse. Maura nahm das schwierigste Argument auf: »Man kann das Böse nicht allein den Faschisten anlasten, vergessen wir nicht die Gewalt der Republikaner, die Ermordung von Kardinal Soldevilla durch die Anarchisten in Zaragoza, die Sozialisten, die 1934 Falangisten totschlugen, als sie Übungen in der Casa de Campo machten, sie haben ihnen die Augen ausgestochen und in die leeren Höhlen uriniert, das haben unsere Leute getan, Genossen.«
»Ja, es waren unsere Leute.«
»Und haben die Faschisten dann nicht das Mädchen umgebracht, das auf ihre Toten uriniert hatte?«
»Darum geht es mir, Genossen«, sagte Maura und ergriff die Hand seiner mexikanischen Geliebten. »Die zunehmende Gewalt in Spanien treibt uns immer mehr in einen Krieg aller gegen alle.«
»Die katalanischen Freischärler hatten ganz recht, als sie 1934 die Eisenbahngleise herausrissen, um Katalonien für immer von Spanien zu trennen.« Basilio sah, daß Jorge und Laura einander bei der Hand gefaßt hielten. »Meinen Glückwunsch!« Doch er empfand Schmerz und Neid.
Vidal ließ ein Gelächter hören, das ebenso widerborstig wie die Wollfäden seines Pullovers war. »Also töten wir uns hinter verschlossenen Türen, vergnüglich und Region für Region, ver-dammich, und die Welt soll zum Teufel gehn!«
Jorge zog seine Haud aus Lauras und legte sie auf Vidais Schulter. »Ich vergesse die organisierten Massenmorde der Franquisten in Badajoz nicht, genausowenig die Ermordung Federico Garcia Lorcas oder Guernica. Es geht mir um etwas anderes, Genossen.
Vergeßt die politischen Gewalttaten der Vergangenheit, meine Freunde, vergeßt das angebliche Verhängnis der spanischen Politik, es herrscht zwar Krieg, aber nicht einmal der gehört uns, sie haben ihn uns weggenommen, wir sind nur der Schauplatz, auf dem er ausgetragen wird, unsere Feinde kommen von draußen, Franco ist eine Marionette, und wenn wir die anderen nicht besiegen, wird Hitler die Welt besiegen. Denkt daran, ich habe in Deutschland studiert und gesehen, wie die Nazis hochgekommen sind. Vergeßt unsere armseligen spanischen Gewalttaten. Wartet ab, bis ihr die wirkliche Gewalt erlebt, die Gewalt des Bösen. Das Böse mit großem Anfangsbuchstaben, das wie eine Fabrik im Ruhrgebiet organisiert ist. Daneben wirkt unsere Gewalt wie die einer Flamencobühne oder einer Stierkampfarena…« Das sagte Jorge Maura.
(»Ich muß dir von Raquel Aleman erzählen…«)
»Und du, Laura Dïaz? Du hast den Mund nicht aufgemacht.«
Sie senkte kurz den Kopf und blickte dann jeden einzelnen voller Zuneigung an, schließlich erklärte sie: »Es freut mich sehr, wenn ich sehe, daß selbst der heftigste Streit zwischen Menschen immer etwas offenbart, das ihnen gemeinsam ist.«
Die drei erröteten gleichzeitig. Basilio Baltazar rettete die Situation, die sie noch immer nicht ganz verstand. »Ihr seht sehr verliebt aus. Was haltet ihr von der Liebe, angesichts all dessen, was ringsum passiert?«
»Du kannst die Frage auch so stellen«, griff Vidal ein. »Zählt nur das persönliche Glück, oder das Unglück von Millionen Menschen?«
»Ich stelle Ihnen eine andere Frage, Señor Vidal«, meldete sich Laura Dïaz wieder.
»Hör zu, sag Vidal und nichts weiter. Wie ungeheuer förmlich die Mexikaner doch sind.«
»Also gut, Vidal und nichts weiter: Kann die Liebe eines Paares alles Unglück der Welt wiedergutmachen?«
Die drei blickten einander mit Scham, Leidenschaft und Mitleid an.
»Ich nehme an, daß es Möglichkeiten gibt, die Welt zu erlösen, ob wir Menschen nun so einsam sind wie unser Freund Basilio oder so gut organisiert wie ich«, gab Vidal halb bescheiden, halb anmaßend zu.
(»Ich muß dir von Pilar Méndez erzählen…«)
»Was der Kommunist am Schluß gesagt hat, Laura«, erklärte Jorge seiner Geliebten, als die beiden allein über die Avenida del Cinco de Mayo liefen, »ist richtig, aber es führt zu Konflikten.«
Sie gab ihm zu verstehen, daß er, Jorge , einen zurückhaltenden Eindruck auf sie mache, auch wenn er viel rede. Er sei ein anderer Jorge Maura, noch einer, und er gefalle ihr, Ehrenwort, sie wolle aber einen Augenblick bei dem Maura verweilen, der er im Café gewesen sei, sie wolle sein
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