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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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Schweigen begreifen, die Gründe dafür mit ihm teilen.
    »Weißt du, keiner hat es gewagt, seine wirklichen Zweifel zu äußern«, erwiderte Maura, während sie auf die Hauptpost von Mexico-Stadt zuliefen, einem Gebäude im venezianischen Stil. »Die Kommunisten sind die Stärksten, weil sie die wenigsten Zweifel haben. Aber gerade weil sie weniger Zweifel haben, begehen sie leichter historische Verbrechen. Verstehe mich nicht falsch. Nazis und Kommunisten sind nicht ein- und dasselbe. Der Unterschied ist, daß Hitler an das Böse glaubt, sein Evangelium ist das Böse – Eroberungen, Völkermord, Rassismus. Stalin dagegen muß sagen, daß er an das Gute glaubt, an freie Arbeit, das Verschwinden des Staates, daß man jedem soviel geben muß, wie es seine Bedürfnisse verlangen. Er trägt das Evangelium eines Zivilen Gottes vor.«
    »Täuscht er deshalb so viele Leute?«
    »Hitler trägt das Evangelium des Teufels vor. Er begeht seine Verbrechen im Namen des Bösen: Das ist seine Schandtat. So etwas hat man nie zuvor erlebt. Wer ihm folgt, muß seine bösartigen Absichten teilen, sie alle, Göring, Goebbels, Himmler, Ribbentrop, die Aristokraten wie Papen, die Lumpenproletarier wie Ernst Rohm, die preußischen Junker wie Keitel. Stalin begeht seine Verbrechen im Namen des Guten, und ich weiß nicht, ob das eine noch größere Schandtat ist, denn wer ihm folgt, handelt im guten Glauben, das sind keine Faschisten, sondern im allgemeinen gute Menschen, die, wenn sie die stalinistischen Schandtaten durchschauen, selbst eliminiert werden: Trotzki, Bucharin, Kamenjew, alles Genossen aus den heroischen Zeiten, die sich geweigert haben, Stalin zu folgen, weil sie dem wahren Kommunismus lieber bis in den Tod gefolgt sind. Sind das keine Helden – Bucharin, Trotzki, Kamenjew? Kannst du mir einen einzigen Nazi nennen, der Hitler aus Treue zum Nationalsozialismus verlassen hätte?«
    »Und du, Jorge , mein spanischer Liebster?« »Ich, Laura, meine Veracruzaner Liebste? Ich bin ein spanischer Intellektueller und, wenn du willst, ein Herrensöhnchen, ein Aristokrat wie die, die Robespierre auf die Guillotine geschickt hat.«
    »Du bist eine zerrissene Seele, mein kleines spanisches Herrensöhnchen…«
    »Nein, ich sehe nur das nazistische Übel und den stalinistischen Verrat. Aber ich bin mir auch bewußt, wie edelmütig die spanische Republik ist, wie sie sich einzig und allein bemüht, aus uns ein normales, modernes Land zu machen, in dem es Achtung, Zusammenleben und die Lösung von Problemen gibt, die, verdammt!, noch aus der Zeit der Goten stammen. Diesem wesentlichen Edelmut der Republik opfere ich meine Zweifel, Laura, meine Liebste. Ich stehe zwischen dem nazistischen Übel und dem kommunistischen Verrat, und ich halte am republikanischen Heroismus des jungen ›Gringos‹ fest, wie ihr sie nennt, dieses Jim, der an den Jarama gekommen war, um dort für uns zu sterben.«
    »Glaub nicht, daß ich nichts verstünde, Jorge , ich bin schließlich keine Idiotin. Noch jemand hat durch euch gelitten. Es gibt noch jemanden, der Baltazar, Vidal und dich vereint.« (»Ich muß dir von Pilar Méndez erzählen…«)
    Pilar Méndez stand an der Mauer von Santa Fe de Palencia, in einen Umhang aus den Pelzen schwarzer, wilder Tiere gehüllt, der Wirbelwind aus dem Gebirge zerzauste ihr blondes Haar, und sie sah zu, wie die Flammenzeichen auf den Bergen nacheinander erloschen, doch sie lächelte nicht, um ihren Triumph zu bekunden, den Verrat an ihrem Vater, ihren persönlichen Sieg, sie stützte sich auf ihre Überzeugung, daß sie ihren Leuten half, und das war, als helfe man Gott, selbst wenn die Schritte der drei republikanischen Soldaten sie unsicher machten, sie kamen vom römischen Tor zu diesem Platz mit dem lockeren Boden und dem Ochsengebrüll, wo sie, Pilar Méndez, im Namen ihres Gottes stand, der stärker als jeder politische Glaube war, die Nationalen und die Falange waren mit Gott, und sie, die anderen, Don Äl-varo, ihr Vater, und die drei Soldaten, waren Opfer des Teufels, ohne es zu wissen, obwohl sie glaubten, auf der richtigen Seite zu stehen, sie waren es, sie, die Roten, die Kirchen anzündeten, Pfarrer erschossen und Nonnen vergewaltigten: Domingo Vidal, Jorge Maura und Basilio Baltazar, ihr Geliebter, ihr leidenschaftlicher Liebster, der Mann ihres Lebens, der schon ihr Ehemann war, ohne daß man ein Sakrament dafür brauchte, er lief durch den Staub, zwischen Ochsen, Wind und toten Feuern, zu ihr, seiner Frau,

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