Die Jahre mit Laura Diaz
es.«
»Ich bin schwach. Nur du bleibst mir. Deshalb bin ich nach Lanzarote gekommen.«
Ich bin schwach.
Als die Nacht kam, liefen sie zum Kloster zurück. Vor allem in dieser Nacht wollte Jorge in die religiöse Gemeinschaft zurückkehren und seine fleischliche Schwäche beichten. Laura hatte gespürt, daß der Mann für sie neu war, als hätten sich ihre Körper nie zuvor vereint, als hätte Laura diesmal ausnahmsweise nur feste Gestalt angenommen, um sich selbst zu gleichen, und er nur, um sich nackt vor ihr zu zeigen.
»Woran denkst du?«
»Daran, daß Gott etwas rät, was er nicht erlaubt. Christus nachzustreben!«
»Es ist nicht so, daß er es nicht erlaubt. Er macht es schwer.«
»Ich stelle mir vor, daß Gott die ganze Zeit zu mir sagt: Ich hasse an dir das gleiche, was du an den anderen gehaßt hast.«
»Was ist das?«
Er lebte hier nur in halber Sicherheit, unschlüssig, ob er eine vollständige, zuverlässige körperliche und geistige Rettung oder ein Wagnis wollte, das der Sicherheit erst ihren Wert gab. Deshalb lief er täglich vom Kloster zur Hütte und abends zurück, von der ungeschützten Außenwelt zur Zufluchtsstätte, und ohne mit der Wimper zu zucken schaute er zu den Zivilgardisten hinüber, die sich schon an ihn gewöhnt hatten und ihn grüßten, er arbeitete bei den Mönchen, er war ein Knecht, ein unbedeutender kleiner Mann.
Er bewegte sich von einem Steinhaus zum anderen, auf einem steinernen Pfad. Er stellte sich einen steinernen Himmel und ein steinernes Meer um Lanzarote herum vor.
»Den ganzen Tag hast du mich gefragt, ob ich an Gott glaube oder nicht, ob ich den Glauben meiner katholischen Kultur, meinen Kinderglauben wiedergefunden habe.«
»Und du hast mir nicht geantwortet.«
»Warum bin ich Republikaner und Kirchenfeind geworden? Wegen der Scheinheiligkeit und der Verbrechen der katholischen Kirche, wegen ihrer Unterstützung für die Reichen und Mächtigen, wegen ihres Bündnisses mit den Pharisäern und gegen Jesus, wegen ihrer Geringschätzung der Armen und Schutzlosen, während sie das Gegenteil predigte. Hast du die Bücher gesehen, die ich in der Hütte habe?«
»San Juan de la Cruz und den Band von Sor Juana Inès de la Cruz, den wir zusammen in einem Antiquariat an der Calle de Tacuba gekauft haben, in Mexico-Stadt. Sie wirken wie Geschwister, aber er ist heilig und sie nicht. Man hat sie gedemütigt und zum Schweigen gebracht, man hat ihr ihre Bücher und Gedichte entrissen. Sogar Papier, Tinte und Feder hat man ihr weggenommen.«
»Sieh dir ein Buch an, das gerade in Frankreich erschienen ist und das mir ein Mönch gegeben hat. ›Schwerkraft und Gnade‹ von Simone Weil, einer zum Christentum konvertierten Jüdin. Lies es. Sie ist eine außergewöhnliche Philosophin, die uns zu sagen vermag, daß wir nie an einen geliebten und von uns getrennten Menschen denken sollen, ohne uns vorzustellen, daß dieser andere vielleicht gestorben ist. Sie nimmt eine unglaubliche Homer-Auslegung vor. Die Ilias, sagt sie, enthalte drei Lehren: Bewundere nie die Macht. Verachte nie die Leidenden. Und hasse deine Feinde nicht. Nichts bleibt vor dem Schicksal bewahrt. Sie ist während des Krieges gestorben. An Tuberkulose und Hunger, vor allem an Hunger, weil sie sich weigerte, mehr als die Ration zu essen, die man ihren jüdischen Brüdern in den Nazilagern gab. Aber das tat sie als Christin, im Namen Jesu.«
Jorge Maura blieb einen Moment vor der schwarzen und mit Vertiefungen übersäten Erde stehen und sah zum Timanfaya hinüber. Der Berg hatte eine glühendrote Farbe wie ein feuriges Evangelium.
Ich habe alle Verbrechen der Geschichte verziehen, weil sie läßliche Sünden im Vergleich mit diesem einen Verbrechen sind: das unmögliche Böse zu tun. Das haben die Nazis getan. Sie haben bewiesen, daß das unvorstellbare Böse nicht nur vorstellbar, sondern auch möglich ist. Sie haben Jahrhunderte voller Verbrechen der politischen Macht, der Kirchen, der Armeen, der Fürsten aus meinem Gedächtnis verdrängt. Alles, was je geschehen war, konnte man sich vorstellen. Nicht das, was die Nazis taten. Bis dahin hatte ich geglaubt, daß das Böse existierte, sich jedoch nicht sehen ließe, sondern versuchte, sich zu verstecken. Oder daß es sich als notwendiges Mittel verkleidete, um einen guten Zweck zu erreichen. Du erinnerst dich, daß Gregorio Vidal die Verbrechen Stalins auf diese Weise darstellte, als Mittel zu einem guten Zweck. Außerdem beruhten sie auf einer
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