Die Jahre mit Laura Diaz
wenig wir sind, Laura.«
Er bat sie, auf die Frage antworten zu dürfen, die sie ihm stellte, seit sie nach Lanzarote gekommen war (»du hättest nicht herkommen sollen, diese Insel gibt es nicht, du wirst glauben, was du siehst, doch wenn du weggehst, merkst du, daß da eigentlich nichts ist«); auf die Frage: Glaubst du, oder glaubst du nicht?
»Das ist so, als fragte man: Ist das Christentum wahr oder eine Lüge? Und ich antworte dir, daß deine Frage keine Bedeutung hat. Während ich mein Leben zwischen dem Kloster und jenem Leben teile, wie du es verstehst (zwischen Sicherheit und Gefahr), will ich hier auf Lanzarote eine Antwort darauf finden, ob der Glaube dem Wahnsinn, auf Erden zu sein, einen Sinn geben kann.«
Und was hatte er entdeckt?
»Daß das Leben Christi für einen Christen immer möglich ls t, daß es aber niemand wagt, dem Beispiel dieses Lebens zu folgen.«
»Wagen sie es nicht, oder können sie es nicht?«
»Sie glauben, es bedeute, wie Christus zu sein, wenn man wie Christus handle, daß man Tote erwecke, Brote vermehre… Sie machen aus Christus eine aktive Ideologie, Laura. Christus sucht uns nur, wenn wir nicht an ihn glauben. Christus findet uns, wenn wir ihn nicht suchen. Das ist die Wahrheit Pascals: Du hast mich gefunden, weil du mich nicht gesucht hast. Und es ist heute meine Wahrheit. Geh fort, Laura. Denk daran, daß ich keine Freude habe. Jeder Abend auf dieser Insel ist tieftraurig.«
Ich bin gekommen, weil dein Platz leer war, sagte sich Laura, als sie sich von der nächtlichen Küste Lanzarotes entfernte und nach Teneriffa fuhr, während die Nacht immer schwärzer und die Insel immer roter wurde. Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Es ist gefährlich, an einem leeren Platz zu leben und dem Leben, das mein Sohn nicht hatte, und der Liebe, die du mir geraubt hast, nachzutrauern. Ich habe meinen Sohn verloren, und du Raquel. Wir haben beide etwas Kostbares hingegeben. Vielleicht erkennt Gott, wenn er existiert, diesen Verlust an und nimmt unseren Kummer wahr. Ich will fortan nicht mehr an dich denken. An dich zu denken tröstet mich zu sehr und erhebt meine Gedanken. Ich will vollständig auf dich verzichten. Ich habe dich nie kennengelernt.
Als sie sich am Klostereingang trennten, war Laura verwirrt gewesen und wartete einen Augenblick. Warum erlaubten sie ihr nicht einzutreten? Sie stellte fest, daß nichts sie daran hinderte, einzutreten und ein letztes Mal zu Jorge zu gehen, seine warmen Lippen ein letztes Mal zu spüren und ihm jene Worte zu sagen, die sie von nun an für immer verschweigen würde.
»Ich liebe dich von ganzem Herzen.«
Im Refektorium kroch er auf allen vieren und leckte den Fußboden mit der Zunge ab, hartnäckig und diszipliniert, eine Steinplatte nach der anderen.
XVIII. Avenida Sonora: 1950
Es kommt eine Zeit im Leben, in der nichts wichtig ist, außer die Toten zu lieben. Für die Toten muß man alles tun. Wir, du und ich, können leiden, weil der Tote abwesend ist. Seine Gegenwart ist nicht gewiß. Seine Abwesenheit ist das einzig Gewisse. Doch die Sehnsucht, die wir nach dem Toten haben, ist weder Gegenwart noch Abwesenheit. Bei mir zu Haus gibt es niemanden mehr, Jorge . Wenn du denken möchtest, daß mich meine Einsamkeit zu dir zurückgeführt hat, so gebe ich dir die Erlaubnis dazu.
Mein Mann Juan Francisco ist tot.
Das Tantchen Maria de la O ist tot.
Aber der Tod meines inniggeliebten Sohns Santiago ist für mich der einzige wirkliche Tod, er enthält alle anderen und gibt ihnen einen Sinn.
Der Tod des Tantchens freut mich sogar. Sie ist gestorben, wie es ihr gefiel, in ihrem geliebten Veracruz, während sie mit einem winzigen Männchen tanzte, das Matias Matadamas hieß und sich ganz taubenblau kleidete, um meine Tante zweimal wöchentlich zum Hauptplatz mitzunehmen und mit ihr auf einem Ziegelstein Danzön zu tanzen.
Der wahre Tod Juan Franciscos war schon lange vor seinem Ende eingetreten. Das bestätigte sein lebloser Körper. Er näherte sich dem Tod mit schlurfenden Schritten. »Mit mir geschieht nichts mehr«, sagte er und fragte: »Hätten du und ich nicht heiraten sollen?« Am Tag seines Todes habe ich ihn gebeten, daß wir uns keine Vorwürfe mehr machen sollten.
»Ich habe zuviel Zeit verloren, weil ich dich gehaßt habe.« Und ich, weil ich dich vergessen 'wollte.«
Wer von uns hat das gesagt, Jorge , er oder ich? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß auch nicht mehr, wer von uns beiden gesagt hat, sag mir nicht, ob
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