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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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Husserl in Freiburg, zusammen mit Raquel. Er war ein Privilegierter. Er mußte hartnäckig auf seinem Willen bestehen, damit sie ihn gegen die Feinde der Kultur kämpfen ließen, gegen Franco und die Falange, die mit ihren kotbeschmierten Stiefeln die Hörsäle schändeten und dazu schrien: »Tod der Intelligenz!« Sie gönnten ihm keine Ruhe, ließen ihn die bitteren Eindrücke und die Maschinengewehrsalven am Jarama erleben, und danach sagten sie: »Du bist nützlicher als Diplomat, als überzeugend wirkender Mann, als vertrauenswürdiger Kurier…« Er war ein Republikaner von aristokratischer Herkunft. Er stand auf der richtigen Seite. Die Welt gehörte ihm. Selbst wenn er sie verlöre, würde sie ihm immer gehören. Dem Volk, das in Madrid, am Ebro und am Jarama kämpfte, fühlte er sich näher als den grausamen Bourgeois und den vulgären Lumpenproletariern auf der faschistischen Seite. Er haßte Franco, Millân Astray und dessen berühmten Ruf »Tod der Intelligenz«, Queipo de Llano und dessen Rundfunkansprachen aus Sevilla, in denen er die spanischen Frauen herausforderte, sie sollten sich zumindest ein einziges Mal von Mauren in Andalusien besteigen lassen, denn das seien richtige Männer.
    »Und jetzt hast du nichts.« Laura sah ihn ungerührt an, weil sie von Jorges politischer Geschichte genug hatte.
    Sie wollte ihm sagen, daß er die Welt verloren hatte, doch glaubte und spürte sie nicht, daß Jorge  Maura nach Lanzarote gekommen war, um Gott mit seinem Opfer zu gewinnen. »Denn das hier ist ein Opfer, das erkenne ich, nicht wahr?« »Willst du damit sagen, nach dem Ende des Krieges hätte ich mich wieder meiner geistigen Berufung widmen, an meine Lehrer Ortega und Husserl denken und schreiben sollen?« »Warum nicht?«
    Er lachte. »Weil es das allerletzte ist, wenn du kreativ sein willst und weißt, daß du kein Mozart oder Keats bist. Verdammich, ich habe es endgültig satt, in meiner Vergangenheit herumzuwühlen. In mir gibt es nichts, was einen schöpferischen Anspruch rechtfertigt. Da ist zuallererst und vor allem, vor dir, vor Raquel, meine eigene Leere, das Bewußtsein meiner eigenen Grenzen, meiner Unproduktivität. Gefällt dir nicht, was ich sage? Du willst mir eine Illusion verkaufen, an die ich nicht glaube, die mich aber glauben läßt, daß du borniert bist, wie ihr es nennt, oder daß du meine Intelligenz unterschätzt? Warum läßt du mich nicht allein, damit ich die Leere auf meine Art ausfülle? Laß mich die Dinge selbst erkennen, damit ich weiß, ob in meiner Seele noch etwas wachsen kann, eine Idee, ein Glauben, denn ich schwöre dir, Laura, daß meine Seele noch trostloser ist als diese Felslandschaft, die du da draußen siehst… Warum?«
    Sie umarmte ihn, kniete nieder und umschlang seine Beine, lehnte ihren Kopf an seine Knie, wurde rot, als sie sah, daß die graue Baumwollhose feucht und durchgescheuert war, als hätte er sie so oft gewaschen, als bliebe ihm keine Zeit mehr, sie zu trocknen, und als bewahrte sie selbst dann noch den Uringestank, ebenso das Hemd, das er schnell ausgespült und wieder angezogen hatte, weil es das einzige war, und selbst so verschwanden nicht die üblen Gerüche, der Geruch des irdischen Leibs, des animalischen Körpers, der es satt hatte, Säfte, Scheiße, Samen auszustoßen. »Jorge , mein Liebster, mein Jorge , ich weiß nicht mehr, wie ich dich küssen soll…«
    »Ich habe nicht mehr die Kraft, weiter nach meinen Wurzeln zu graben. Das spanische und spanisch-amerikanische Übel. Wer sind wir?«
    Sie bat ihn um Verzeihung, weil sie ihn provoziert hatte.
    »Nein, es ist schon gut. Steh auf. Erlaube, daß ich dich genau ansehe. Du siehst so sauber aus, so sauber.«
    »Was willst du mir damit sagen?«
    Laura erinnerte sich später nicht mehr, welche Haltung ihr Geliebter mit seiner feuchten, frischgewaschenen Kleidung eingenommen hatte, die alt war und nach einer von keiner Seife zu beseitigenden Niederlage roch. Sie erinnerte sich nicht mehr, ob der Mann gestanden oder auf dem Feldbett gesessen, ob er den Kopf gesenkt oder nach draußen geblickt hatte. Ob zur Decke oder in Lauras Augen.
    »Was ich dir sagen will? Was weißt du?«
    »Ich kenne deine Biographie. Von der Aristokratie zur Republik, zur Niederlage, zum Exil, zum Stolz. Lanzarote und der Stolz.«
    »Die Sünde Luzifers.« Jorge  lachte. »Du läßt viele Lücken, weißt du?«
    »Ja, das weiß ich. Aber Lanzarote und der Stolz? Das ist keine Lücke. Das ist hier und heute.«
    »Ich

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