Die Jahre mit Laura Diaz
Mitleid zeigte; daß er in ruhiger, schweigsamer Rückschau die ihnen wohlbekannte Vergangenheit akzeptierte, deren Verluste und Freuden ihre Spuren an ihnen beiden hinterlassen hatten.
»Du bist immer noch eine schöne Frau.«
»Ich bin über fünfzig, ein bißchen darüber.«
»Also, hier gibt es Frauen, die zwanzig Jahre jünger sind als du und nicht den Mut zu einem einteiligen Badeanzug haben.«
»Ich schwimme gern. Ich bin an einem See geboren und am Meer aufgewachsen.«
Aus guter Erziehung musterte man sie nicht, als sie ins Becken sprang, doch als sie zwischen den Bougainvilleen wieder hochkam, sah sie die neugierigen, zustimmenden, lächelnden Blicke der Gringos, die sich an diesem Sonnabend in Cuernavaca zum Essen zusammengefunden hatten, im Haus des roten Fredric Bell; und wie auf einem Wandgemälde Diego Riveras oder in einem Film King Vidors entdeckte sie the crowd, die zusammengehörende und zugleich aus Einzelgängern bestehende Menge. Laura wußte, daß alle durch ein und dasselbe Problem vereint wurden, die Verfolgung, und daß es ihnen dennoch gelungen war, ihre Individualität zu bewahren, sie waren keine »Masse«, so sehr sie auch an sie glaubten. Stolz lag in ihren Blicken, in der Art, wie sie dastanden, ihr Glas hielten und das Kinn hoben: wie diese Männer und Frauen sich selbst gehörten; das beeindruckte Laura, dieses offenkundige Bewußtsein, in ihrer Würde getroffen zu sein und daß sie Zeit brauchten, um sie zurückzugewinnen. Sie befand sich in einem Pflegeheim für politische Rekonvaleszenten.
Sie wußte einiges über deren Geschichten. Während der Fahrt hatte ihr Basilio verschiedene Dinge erzählt: Sie mußten an ihrer Individualität festhalten, weil die Verfolgung eine Rotte, eine rote Bande, Schafe der kommunistischen Herde aus ihnen machen und ihnen ihre Einzigartigkeit entreißen wollte, um sie in Feinde zu verwandeln.
»Haben Sie an der Ehrung für Dmitri Schostakowitsch im Waldorf Astoria teilgenommen?«
»Ja.«
»Wußten Sie, daß es sich bei ihm um eine Galionsfigur der sowjetischen Propaganda handelt?«
»Ich weiß nur, daß er ein großer Komponist ist.«
»Wir reden hier nicht über Musik, sondern über Subversion.«
»Wollen Sie damit sagen, Senator, daß die Musik Schostakowitschs ihre Zuhörer zu Kommunisten macht?«
»Genau das. Das sagt mir meine Überzeugung als amerikanischer Patriot. Für diesen Ausschuß ist es jedoch offensichtlich, daß Sie diese Überzeugung nicht teilen.«
»Ich bin ebenso Amerikaner wie Sie.«
»Aber Ihr Herz schlägt in Moskau.«
(»Es tut uns sehr leid. Sie können nicht mehr bei uns arbeiten. Unsere Gesellschaft darf nicht in Kontroversen verwickelt werden.«)
»Stimmt es, daß Sie ein Festival mit Charlie-Chaplin-Filmen in Ihrem Fernsehprogramm geplant haben?«
»So ist es. Chaplin ist ein großer Komödiant.«
»Er ist ein armseliger tragischer Possenreißer, meinen Sie. Ein Kommunist.«
»Möglich. Aber das hat nichts mit seinen Filmen zu tun.«
»Stellen Sie sich nicht dumm. Diese roten Botschaften unterwandern uns heimlich, ohne daß es jemand merkt.«
»Aber, Senator, es sind Stummfilme, die Chaplin vor 1917 gedreht hat.«
»Was hat es 1917 gegeben?«
»Die sowjetische Revolution.«
»Aha, dann ist Charlie Chaplin nicht nur Kommunist, sondern hat auch noch die russische Revolution vorbereitet, das wollen Sie also vorführen, ein als Komödie getarntes Lehrbuch für den Aufstand…«
(»Es tut uns sehr leid. Unsere Gesellschaft kann Ihre Sendereihe nicht bringen. Die Firmen, die in unserem Programm werben, haben damit gedroht, uns ihre Unterstützung zu entziehen, wenn Sie weiter subversive Filme bringen.«)
»Sind oder waren Sie Mitglied der Kommunistischen Partei?«
»Ja. Und das sind oder waren auch die vierzehn Veteranen, die mich vor diesem Ausschuß begleiten und die sämtlich Kriegsinvaliden sind.«
»Die rote Brigade, haha.«
»Wir haben im Pazifik für die Vereinigten Staaten gekämpft.«
»Sie haben für die Russen gekämpft.«
»Die waren unsere Verbündeten, Senator. Wir haben nur Japaner getötet.«
»Der Krieg ist zu Ende. Meinetwegen können Sie nach Moskau gehen und dort glücklich werden.«
»Wir sind loyale Amerikaner, Senator.«
»Beweisen Sie es. Nennen Sie dem Ausschuß die Namen anderer Kommunisten…«
(…in der Armee, im State Department, aber vor allem beim Film, im Rundfunk und im gerade entstehenden Fernsehen: Für die Inquisitoren des Kongresses war es ein ganz
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