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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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Kolonialzeit abstammen, als Sir Henry Morgan höchstpersönlich die Küsten des Golfs von Campeche angriff und die Häfen plünderte, aus denen das Gold und Silber Mexikos nach Spanien abtransportiert wurde. Und Juan? Ebenfalls der am weitesten verbreitete Vorname der spanischen Sprache. Allein Francisco deshalb, weil ich ihn die Tugenden des bewundernswertesten Heiligen der Christenheit, des frommen Mannes von Assisi, lehrte…
    Ach, meine liebe kleine Laura, der Heilige Franziskus gab ein verschwenderisches, wonnevolles Leben auf, um zum fahrenden Sänger Gottes zu werden. Mir, das wissen Sie, ist das Gegenteil geschehen. Zuweilen erlahmt der Glaube. Es wäre kein Glaube, wenn es keinen Zweifel gäbe. Ich war noch jung, als ich nach Ca-temaco kam und einen inniggeliebten Pfarrer ersetzte, Pater Jesus Morales, Sie erinnern sich an ihn. Dazu möchte ich Ihnen mehreres gestehen. Mich erbitterte die Aureole der Heiligkeit, die Pfarrer Morales umgab. Ich war sehr jung, phantasievoll und auch pervers. Wenn Sankt Franziskus von der Sünde zur Heiligkeit gelangt war, so wollte ich das gleiche tun, vielleicht umgekehrt, zuerst würde ich ein perverser, sündhafter Pfarrer sein –welch grauenhafte Dinge habe ich Ihnen ins Ohr gesagt, Laura, und so das oberste Gebot Unseres Herrn Jesus Christus mißachtet, den Kindern kein Ärgernis zu geben. Habe ich ein größeres Verbrechen begangen als das, aus dem Ort zu fliehen und den Schatz der Ärmsten mitzunehmen, die Weihgeschenke für das Jesuskind von Zongolica? Glauben Sie mir, Laura, ich habe gesündigt, um ein Heiliger werden zu können. Das war mein Vorsatz, mein pervertiertes Franziskanertum, wenn Sie so wollen. Man nahm mir mein Priesteramt, und so haben Sie mich in Xala-pa entdeckt, während ich von dem gestohlenen Geld überlebte, als Gast Ihrer lieben Mama, Gott habe sie selig. Sie haben Ihrem Mann wohl davon erzählt. Er hat sich an mich erinnert und ist zu mir gekommen. Er hat mir für meinen Unterricht gedankt. Er kannte meine Sünde und beichtete mir seine. Er hatte die Nonne ausgeliefert, die angeblich Carmela hieß, Mutter Gloria Soriano, die in die Ermordung des gewählten Präsidenten Ălvaro Obre-gön verwickelt war. Er habe es aus revolutionärer Überzeugung getan, sagte er mir. Die Politik verfolgte damals das Ziel, den Klerikalismus zu vernichten, der in Mexiko die Armen ausgebeutet und die Ausbeuter unterstützt hätte. Er zögerte nicht, sie auszuliefern: Es war seine Pflicht.
    Er hätte nie gedacht, daß Sie, Laura, wo Sie nicht einmal gläubig waren, sich das dermaßen zu Herzen nehmen würden. Wie erstaunlich, aber wie schlimm das war. Wir überblicken die moralischen Folgen unserer Taten nicht. Wir glauben, unsere Pflicht gegenüber hehren Zielen zu erfüllen, als Revolutionäre, Klerikale, Liberale, Konservative oder Cristero-Kämpfer, und dabei rinnt uns jene kostbare Flüssigkeit durch die Finger, die wir die Seele nennen, weil uns ein besseres Wort fehlt. Als Sie die Auslieferung Mutter Sorianos so heftig verurteilten, brachte das Juan Francisco völlig durcheinander und nahm ihm allen Mut. Das war gewissermaßen der Grabstein für seine Laufbahn. Es war zu Ende mit ihr. Er tat lächerliche Dinge, wie etwa, daß er einen bezahlten Fahnder beauftragte, Sie zu überwachen. Er hat seine Dummheit bereut, das versichere ich Ihnen. Aber einmal Priester, immer Priester, das wissen Sie, selbst wenn man mir die Fingerspitzen abhackt, kann ich es nicht lassen, andere anzuhören und ihnen zu vergeben. Laura: Juan Francisco hat mich um Vergebung dafür gebeten, daß er Mutter Gloria Soriano ausgeliefert hatte. Das war seine Art, mir dafür zu danken, daß ich ein barfüßiges, unwissendes Kind aufgenommen hatte, um es zu erziehen, vor nun schon achtundsechzig Jahren, stellen Sie sich das nur vor. Aber er hat noch mehr getan. Er hat den Schatz des hei-ugen Jesuskindes von Zongolica zurückgegeben.
    Als die Einheimischen eines Abends zum Vespergottesdienst die Kirche betraten, entdeckten sie den Schmuck und die Weihgeschenke. Alles, was sie geerbt und zusammengetragen hatten, lag wieder auf seinem Platz. Sie haben nicht davon erfahren, weil derartige Nachrichten aus Catemaco nicht über Catemaco hinauskommen. Doch das staunende Volk schrieb es einem Wunder des heiligen Jesuskindes selbst zu, das es vermocht hätte, seinen eigenen Schatz neu zu erschaffen und an jene Stelle zurückzubringen, wo er von Rechts wegen sein mußte. Es war, als hätte es ihnen gesagt:

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