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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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guten Onkel Joe dargestellt hast, mit seiner Pfeife und seiner bäuerlichen Weisheit, der uns vor Hitler geschützt hat«, sagte der große Mann, den seine schwere Schildpattbrille wie eine Eule erscheinen ließ.
    »Und stimmte das etwa nicht?« widersprach lächelnd ein kleiner Mann mit wirrem Lockenhaar, das sich zu einem ungeheuer hohen, natürlich gewachsenen Schöpf auftürmte. »Haben uns die Russen nicht vor den Nazis gerettet? Erinnerst du dich an Stalingrad? Haben wir Stalingrad schon vergessen?«
    »Albert«, antwortete der große, kurzsichtige Mann. »Ich werde niemals mit dir streiten. Schließlich sind wir zusammen Seite an Seite gelaufen, beide in Handschellen, weil wir uns geweigert haben, unsere Genossen vor dem McCarthy-Ausschuß zu denunzieren. Du und ich.«
    »Da gab es noch etwas mehr«, sagte Harry zu Laura in einer Nacht mit lautem Zikadengezirpe im Garten der Beils. »Es war ein Zeitalter, das Elend eines Zeitalters, aber auch sein Ruhm.
    Bevor ich nach Spanien ging, habe ich am Projekt des Negro Théâtre in Roosevelts Works Progress Administration mitgearbeitet, das 193 5 zu den Unruhen in Harlem geführt hat. Dann hat Orson Welles einen schwarzen Macbeth inszeniert, der Furore machte und vom Theaterkritiker der New York Times heftig verrissen wurde. Eine Woche nach seinem Verriß ist der Kritiker an einer Lungenentzündung gestorben. Das war Voodoo, Laura.« Harry lachte und bat sie um die Erlaubnis, sie bei ihrem Vornamen zu nennen.
    »Laura. Ja«, antwortete sie.
    »Harry. Harry Jaffe.«
    » Basilio hat mir von Ihnen… von dir erzählt.«
    »Von Jim. Von Jorge .«
    »Ich kenne die Geschichte von Jorge  Maura.«
    »Weißt du, die ganze Geschichte kennt man nie«, erklärte Harry herausfordernd, melancholisch und verlegen; das alles zusammen, dachte Laura.
    »Kennst du die ganze Geschichte, Harry?«
    »Nein, natürlich nicht.« Der Mann bemühte sich, wieder eine alltägliche Miene zu zeigen. »Ein Schriftsteller darf nie die ganze Geschichte kennen. Er denkt sich einen Teil aus und fordert den Leser auf, die Geschichte fortzudenken. Ein Buch darf nie abgeschlossen sein. Der Leser muß es weiterführen.«
    »Er soll es nicht nur vervollständigen, sondern selbst weiterführen?«
    Harry nickte. Basilio hatte ihn beschrieben, wie er 1937 an der Jaramafront war. Seine körperliche Schwäche hatte er mit der Willensstärke eines Kampfhahns ausgeglichen. »Ich muß mir eine Biographie zulegen, die meine sozialen Komplexe kompensiert«, hatte Harry damals gesagt. Sein Glaube an den Kommunismus läuterte ihn von all seinen Minderwertigkeitskomplexen. Er diskutierte hartnäckig, hatte sich Jorge  Maura erinnert, er hatte die ganze marxistische Literatur gelesen, betete sie herunter wie eine Bibel und beendete seine Reden immer mit demselben Satz: »Das sehen wir morgen, we'll see tomorrow.« Die Fehler Stalins waren lediglich Episoden, und eine ruhmreiche Zukunft stand bevor. Harry Jaffe sei in Spanien ein moralisch zwiespältiger Mann gewesen, so Maura, denn er habe nicht erkannt, wie schwach jede politische Überzeugung ohne Kritik sei.
    »Ich will meine Seele retten«, sagte Harry an der Front des Spanienkriegs.
    »Ich will die Angst kennenlernen«, sagte sein unzertrennlicher Freund Jim, der schlaksige New Yorker, der zusammen mit Harry das klassische Paar Don Quijotes und Sanchos bildete, erzählte Maura lächelnd, »oder von Mutt und Jeff«, sagte nun Basilio und vereinte sein Lächeln mit dem des abwesenden Freundes.
    »Schluß mit den Krawatten«, sagten Jim und Harry gemeinsam, als Vincent Sheean und Ernest Hemingway auszogen, um Reportagen über den Krieg zu schreiben und miteinander zu diskutieren, wer von den beiden das Privileg haben würde, den Nachruf des anderen zu verfassen.
    Der kleine Jude mit Jacke und Krawatte.
    Wenn die Schilderung, wie Harry Jaffe vor fünfzehn Jahren ausgesehen hatte, zutraf, dann waren die drei Jahrfünfte danach drei Jahrhunderte für diesen Mann gewesen, der seine Traurigkeit nicht verbergen konnte und vielleicht auch gar nicht verbergen wollte; seine Trauer verriet sich im unendlich fernen Blick, im bebenden, bekümmerten Mund, im ruhelosen Kinn und in den auf übernatürliche Weise reglosen Händen, die er so ruhig hielt, um keine wirkliche Begeisterung und kein Interesse zu zeigen. Er setzte sich auf seine Hände. Er ballte sie zur Faust. Verzweifelt faltete er sie unter dem Kinn. Harrys Hände zeigten ganz den vom Wüten McCarthys beleidigten,

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