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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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unsichtbare Wahrheit im Radio zu hören. Hitler benutzte den Rundfunk, Roosevelt und Churchill auch. Wie konnte ich es ablehnen, im Rundfunk zu sprechen, als mich die Regierung der Vereinigten Staaten und die amerikanische Armee darum baten:
    ›Das ist die Stimme Amerikas, wir müssen den Faschismus besiegen, Rußland ist unser Verbündeter, wir müssen die UdSSR würdigen.‹ Was sollte ich machen? Antisowjetische Propaganda? Stell dir vor, Laura, wenn ich mitten im Krieg antikommunistische Propaganda gemacht hätte. Sie hätten mich als Verräter erschießen lassen. Daß ich es anders gemacht habe, führt aber heute genauso zu meiner Verurteilung als amerikafeindlicher Subversiver. Damned if you do and damned if you don't.«
    Er lachte nicht, als er das sagte. Später, beim Abendessen, hörte die Gruppe, ein Dutzend Gäste, aufmerksam dem alten Produzenten Theodore zu, der wieder einmal die Geschichte von den jüdischen Einwanderern in Hollywood erzählte, von den jüdischen Künstlern in Hollywood, aber ein jüngerer Drehbuchautor, der niemals seinen Binder ablegte, fuhr ihn grob an, er solle den Mund halten, jede Generation habe ihre eigenen Probleme und erleide sie auf ihre Weise, er sehne sich nicht nach der Depression zurück, nach der Arbeitslosigkeit, den Schlangen von Leuten, die in der Kälte erstarrt seien und darauf warteten, daß sie einen Napf mit warmer Wassersuppe bekämen, es habe keine Sicherheit gegeben, keine Hoffnung, nur den Kommunismus, die Kommunistische Partei, wie sollte er sich da nicht der Partei anschließen? Wie sollte er jemals seinen Kommunismus verleugnen, wenn ihm die Partei die einzige Sicherheit, die einzige Hoffnung seiner Jugend gegeben hätte?
    »Wenn ich verleugnet hätte, daß ich Kommunist war, wäre das so gewesen, als hätte ich verleugnet, jung zu sein.«
    »Schade, daß wir uns selbst verleugnet haben«, sagte ein weiterer Gast, ein distinguiert aussehender Herr (er wirkte wie eine Werbung für Arrow-Hemden, kommentierte Harry spöttisch).
    »Was meinst du damit?« fragte Theodore.
    »Daß wir nicht für den Erfolg geschaffen waren.«
    »Wir ja«, murrten der Alte und seine Frau einträchtig. »Elsa und ich ja. Wir ja.«
    »Wir nicht«, meldete sich wieder der vornehm aussehende Mann, dem das weiße Haar gut stand und der stolz darauf war. »Wir Kommunisten nicht. Erfolg zu haben war eine Sünde, jedenfalls so etwas Ähnliches wie eine Sünde. Und eine Sünde verlangt Vergeltung.«
    »Dir ist es doch sehr gut gegangen«, lachte der Alte.
    »Das war das Problem. Die Vergeltung kam. Zuerst die lustlos erledigte kommerzielle Arbeit. Drehbücher für Huren und dressierte Hunde. Dann kamen die Ausschweifungen, um einen Ausgleich zu haben. Die Huren im Bett, und wir gewöhnten uns besser an den Whisky als Rin Tin Tin an die Dressur. Und schließlich kam die Panik, Theodore. Wir begriffen, daß wir nicht für den Kommunismus geschaffen waren. Wir waren für Vergnügen und Ausschweifungen geschaffen. Klar, daß die Strafe nicht ausblieb. Man denunzierte uns, und wir verloren unsere Arbeit, weil wir Kommunisten waren. McCarthy ist unser Würgengel, das war unvermeidlich. Das verdienen wir, fuck the dirty weasel.«
    »Und die, die keine Kommunisten waren, die grundlos beschuldigt wurden, die Verleumdeten?«
    Alle drehten sich um, weil sie sehen wollten, wer das gesagt hatte. Doch es schien, als käme diese Frage von niemandem. Als hätte ein Phantom sie ausgesprochen. Eine Stimme aus dem Nichts. Nur Laura, die Harry gegenübersaß, bemerkte, daß der ehemalige Spanienkämpfer es gedacht und vielleicht gesagt hatte, aber niemand sonst kam darauf, weil Ruth, die Herrin des Hauses, in diesem Moment ihre Pasta in einer riesigen Schüssel auftrug und dazu trällerte:
    »You're gonna get me into trouble
    If you keep looking at me like that…«
    Harry hatte gesagt, daß der Rundfunk das unsichtbare Theater, der Appell an die Phantasie sei… Und das Bühnenschauspiel, was war das?
    »Etwas, was zusammen mit dem Beifall verschwindet.«
    »Und der Film?«
    »Ein Phantom, das uns alle überlebt, unsere Stimme und Bewegungen, die wir hinterlassen, um weiterzuleben…«
    »Bist du deshalb nach Hollywood gegangen, um Drehbücher zu schreiben?«
    Er bejahte, doch ohne sie anzusehen. Es fiel ihm schwer, jemanden anzusehen, und alle vermieden es, ihn anzusehen. Das wurde Laura allmählich klar, eine Tatsache, die ebenso offenkundig wie mysteriös und so unsichtbar wie eine Rundfunksendung

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