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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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gedemütigten Zeugen.
    »Wir haben nie gewonnen, es stimmt nicht, daß wir je gesiegt hätten«, sagte Harry mit seiner staubtrockenen, leidenschaftslosen Stimme. »Es gab Aufregung, exätement, das ja. Viel Aufregung. Wir Amerikaner glauben gern an das, was wir tun, wir erregen uns dafür. Wie sollte ein solches Ereignis nicht mit Freude, Glaube und Aufregung aufgenommen werden, ein Ereignis wie die Uraufführung von Clifford Odets' The Cradle Will Rock mit seinen kühnen, direkten Hinweisen auf die Tagesereignisse, den Streik der Automobilarbeiter, die Unruhen, die Brutalität der Polizei, die durch Schüsse in den Rücken getöteten Arbeiter? Wie sollten wir uns nicht aufregen und sogar empören, daß damit das Ende der offiziellen Unterstützung des Arbeitertheaters erreicht war? Man beschlagnahmte unsere Dekorationen. Die Bühnenarbeiter wurden entlassen. Na und? Wir hatten keine Bühne mehr. Dann hatten wir die geniale Idee, das Stück an den Ort der Ereignisse zu verlegen, ins Stahlwerk. Wir wollten Arbeitertheater in der Fabrik der Arbeiter machen.«
    Wie schwer ich diesen resignierten Blick ertrage, wenn er die Augen öffnet, diesen vorwurfsvollen Blick, wenn er die Augen schließt. Laura betrachtete aufmerksam, wie sie es immer tat, den kleinen, hilflosen Mann, der auf einem Korbstuhl mit lederner Lehne saß, auf der kleinen Anhöhe im Garten, von der aus man die Zuflucht bietende Stadt überblicken konnte, dieses Cuerna-vaca, wo sich Hernân Cortés einen steinernen, von Türmen und Kanonen geschützten Palast bauen ließ, um der hochgelegenen aztekischen Stadt zu entfliehen, die er erobert, niedergerissen und als eine rechteckige Renaissancestadt, eine Stadt wie einen Bratrost, neu gegründet hatte.
    »Was würde Cortés empfinden, wenn er in seinen Palast zurückkäme und sich auf den Wandbildern Riveras als erbarmungsloser Konquistador mit Reptilienblick dargestellt fände?« sagte Harry zu Laura.
    »Diego gleicht so etwas aus, indem er Schimmel malt, die einen heroischen Eindruck machen und wie die Rüstungen glänzen. Er kann sich eine gewisse Bewunderung für das Epos nicht versagen. Das geht uns Mexikanern allen so.« Laura streckte ihre Finger denen Harrys entgegen.
    »Nach dem Krieg habe ich ein kleines Stipendium bekommen. Ich bin nach Italien gefahren. So hat Uccello die mittelalterlichen Schlachten gemalt. Wohin führst du mich morgen, damit ich Cuernavaca noch besser kennenlerne?«
    Gemeinsam besuchten sie den Borda-Park, in den sich Maximilian von Österreich zurückgezogen hatte, um in den verborgenen, üppigen und feuchten Gärten seinen Vergnügungen nachzugehen, fern vom Kaiserhof in Chapultepec und dem unermüdlichen Ehrgeiz seiner Gattin Charlotte.
    »Die er nicht anrührte, weil er sie nicht mit Syphilis anstecken wollte«, sagten die beiden lachend wie aus einem Munde und wischten sich den Bierschaum von den Lippen. Sie saßen auf dem Hauptplatz von Cuernavaca, dieser Stadt, die ursprünglich Cuauhnâhuac – »Ort bei den Bäumen« – geheißen hatte. Laura Dïaz hörte Harry Jaffe zu und bemühte sich, das Geheimnis zu ergründen, das sich hinter seinen von gelegentlicher Ironie aufgelockerten Schilderungen verbarg.
    »Die Kultur meiner Jugend war die Radiokultur, das Blin-dentheater, und deshalb konnte Orson Welles alle in Schrecken versetzen, als er ihnen weismachte, daß das, was lediglich die Hörspielbearbeitung eines Romans war, den ein anderer Wells – H.G. – geschrieben hatte, etwas sei, das sich tatsächlich gerade in New Jersey abspiele.«
    Laura lachte herzlich und bat Harry, dem Text des in Mexiko hochmodernen Cha-Cha-Cha zuzuhören, der aus einer Musikbox der Bar herüberdröhnte:
    »Die Marsianer sind schon da. Und sie tanzen Cha-Cha-Cha.«
    »You know?«
    Sie brachten das abgesetzte Theaterstück an den Ort der Ereignisse, das Stahlwerk. Deshalb beschloß die Betriebsleitung, die Belegschaft an jenem Tag zu einem Picknick einzuladen. Die Arbeiter zogen den Tag auf dem Lande einem Kampftag des politischen Theaters vor.
    »Als das Stück dann noch einmal aufgeführt wurde, hat der Regisseur die Schauspieler im Publikum verteilt. Die Scheinwerfer suchten nach uns, und plötzlich entdeckten sie uns. Sie entdeckten mich, das Licht traf mich ins Gesicht und blendete mich, aber es brachte mich zum Reden. ›Gerechtigkeit. Wir wollen Gerechtigkeit.‹ Das war mein ganzer Text, den ich vom Saal aus sagte. Am Ende wurde alles dunkel, und wir gingen nach Hause, um die

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