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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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reagierten wir auf die Wirklichkeit, auf Depression, Arbeitslosigkeit, den Zusammenbruch des amerikanischen Kapitalismus.«
    Im Garten schwirrten Glühwürmchen umher, vor allem aber sah man Harrys regelmäßig aufleuchtende Zigaretten, die er eine nach der anderen ansteckte, immer mit dem Stummel der vorherigen.
    »Der zweite Akt ist das Heldentum. Zuerst der Kampf gegen die Wirtschaftskrise, dann der Krieg gegen den Faschismus.«
    Ein heftiger Hustenanfall unterbrach ihn, ein so tiefliegender, kräftiger Husten, daß er nichts mehr mit dem täglich dünner und blasser werdenden Körper Harrys zu tun zu haben schien, der es nicht vermochte, einen derart tiefen Orkan in seiner Brust zurückzuhalten.
    »Der dritte Akt ist die Opferung der gutgläubigen Männer und Frauen, die Kommunisten oder auch nur Humanisten sind. McCarthy gehört zur gleichen Art Menschen wie Berija, der Polizist Stalins, oder Himmler, Hitlers Gehilfe. Er und seine Leute werden vom politischen Ehrgeiz und von Vorteilen angespornt, die es bedeutet, sich dem antikommunistischen Chor anzuschließen, nachdem der heiße Krieg vorbei ist und der Kalte Krieg begonnen hat. Die kaltblütige Berechnung, Macht über die in Verruf Geratenen zu erringen. Denunziation, Angst und Tod… Und das Nachspiel…« Harry spreizte die Finger, er zeigte die Handflächen, die gelben Finger, zuckte mit den Achseln und hustete leicht.
    Sie sprach es aus, sagte es ihm und sich selbst, ohne daß sie wußte, in welcher Reihenfolge und auf welche Art sie es Harry am besten mitteilen konnte: Das Nachspiel müsse im Nachdenken bestehen, in einer Anstrengung des Verstandes, um zu begreifen, was geschehen war und warum es geschehen war.
    »Warum verhalten wir uns in Amerika ebenso wie in Rußland? Warum passen wir uns dem an, was wir einmal bekämpft haben? Wie kann es die Berijas und die McCarthys geben, all diese modernen Torquemadas?«
    Laura hörte Harry zu, doch sie wollte ihm sagen, daß sich die Akte und das Nachspiel politischer Dramen niemals so darstellten, so wohlgeordnet und »aristotelisch«, wie Harry es nannte, womit er sich über die »Akademie« in Cuernavaca lustig machte, sondern daß sie höchst undurchsichtig seien, was sie doch beide wußten, und dabei vermischten sich Sinn und Widersinn, Hoffnung und Resignation, Rechtfertigung und Kritik, Mitgefühl und Verachtung.
    »Wenn ich doch in die Zeit Spaniens zurückkehren und dort bleiben könnte«, sagte Harry manchmal. Und dann drehte er sich heftig zu Laura um und sprach fieberhaft weiter, mit einer Stimme, die immer dumpfer, aber auch immer heiserer klang: »Warum verläßt du mich nicht, warum bleibst du bei mir?«
    In einem solchen Augenblick fühlte sie sich versucht. In einem solchen Augenblick zweifelte sie. Sie konnte einpacken und gehen. Das war möglich. Sie konnte auch dableiben und alles ertragen. In beiden Fällen mußte sie aber auch noch etwas anderes tun. Sie durfte nicht einfach so fortgehen und auch nicht untätig dableiben. Sie hörte Harry zu und rang sich immer wieder zu demselben Entschluß durch: Ich bleibe, aber ich will etwas tun, mich nicht nur um ihn kümmern, nicht nur versuchen, ihn zu ermutigen, ich will versuchen, ihn zu verstehen, herauszubekommen, was er erlebt hat, warum er alle Geschichten aus jenem Zeitalter der Schande kennt und seine eigene verleugnet, warum erzählt er nicht mir, die ihn liebt, seine eigene Geschichte, warum…
    Als hätte er ihre Gedanken erraten.
    Das geht allen so, die mehr aus Leidenschaft als aus Gewohnheit zusammen sind, wir erraten tatsächlich unsere Gedanken, Harry, ein Blick, eine Handbewegung genügen, ein Traum, in den man eindringt, und man weiß, was der andere denkt; du denkst an Spanien, du denkst an Jim, du denkst daran, daß er sich, indem er so jung starb, gerettet hat, ihm blieb keine Zeit, ein Opfer der Geschichte zu werden, er wurde ein Opfer des Krieges, das ist edel, das ist heldenhaft. Wenn man aber ein Opfer der Geschichte wird, ihre Schläge nicht voraussieht und ihnen nicht rechtzeitig ausweicht oder sie nicht standhaft erträgt, wenn sie uns schließlich treffen, so ist das traurig, Harry, es ist schrecklich.
    »Alles war eine Komödie, ein Irrtum…«
    »Ich liebe dich, Harry, das ist keine Komödie und kein Irrtum.«
    »Warum soll ich dir glauben?«
    »Ich betrüge dich nicht.«
    »Alle haben mich betrogen.«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Alle.«
    »Warum erzählst du es mir nicht?«
    »Warum findest du es nicht

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