Die Jahre mit Laura Diaz
was ihm der Tabakladen an der Ecke zu bieten hat.
»Das Beste ist manchmal auch das einzige. Hier ist das einzige beinahe immer das Schlechteste.«
Sie gingen auf den Samstagsmarkt, und er beschloß, einen Lebensbaum zu kaufen. Sie hatte keinen Grund, sich gegen den Kauf zu wehren, und doch tat sie es. Ich weiß nicht, warum ich mich dagegen gewehrt habe, dachte sie später, als sie eine ganze Woche nicht mehr miteinander geredet hatten, eigentlich sind diese in tausend Farben bemalten Tonkandelaber gar nicht so häßlich, sie tun keinem weh, wenn sie auch nicht jenes Wunder folkloristischer Kühnheit und Sensibilität sind, wie er behauptet. »Das sind geschmacklose, kitschige Dinger«, hatte sie gesagt, »die nur von Ausländern gekauft werden, warum kaufst du nicht gleich ein paar Puppen mit rosa Strümpfen oder einen bunten Kugelfänger, oder ganz einfach einen Sarape für dich und für mich ein Schultertuch? Dann sind wir abends vor dieser plötzlichen Kälte geschützt, die aus den Bergen herabsteigt, eingehüllt in mexikanische Folklore. Ist es nicht das, was du willst?« Genügt es ihm nicht, dachte sie, mich hartnäckig anzustarren, während ich mich vor dem Spiegel zurechtmache, und mich denken zu lassen, was er denkt: Sie wird alt und nachlässig, bald ist sie siebenundfünfzig und braucht längst schon keine Monatsbinden mehr? Will er mir dazu noch das Haus mit Folklore-Trödel vollstopfen, mit Lebensbäumen, Kugelfängern und Jahrmarktspuppen? Warum kaufst du dir nicht ganz einfach eine Machete, Harry, eine von denen mit den witzigen Inschriften auf dem Rücken: Ich bin wie grüner Pfeffer, scharf, aber lecker? Damit du es das nächste Mal schaffst, wenn du dir Finger und Zunge abschneiden willst, damit du dir selbst leid tun kannst wegen dem, was du warst und nicht warst, was du bist und hättest sein können?
Harry hatte nicht die Kraft, sie zu schlagen. Sie empfand Mitleid mit ihm, als er die Hand gegen sie hob und sie den Lebensbaum, den er schließlich doch gekauft hatte, auf den Ziegelsteinboden schleuderte und in Stücke zerschmetterte, und am nächsten Tag kehrte sie die verstreuten Scherben zusammen und warf sie in den Müll. Später kam sie allein vom Markt zurück und stellte einen neuen Lebensbaum auf die Konsole neben dem Tisch und den Korbmöbeln, wo die beiden meistens aßen.
Um ihren unerklärlichen Haß auf die bunte Figur mit den Engeln, Früchten, Blättern und Baumstämmen zu beschwichtigen, lief sie immer wieder in den Garten und atmete intensiv den Laubduft ein, betrachtete die glänzenden Regentropfen an den Bananenblättern und beschwor in weiterer Ferne, in ihrer Erinnerung, die Schattenbäume der Kaffeeplantage herauf, die symmetrischen Zitronen- und Orangenfelder, die Christpalmen, die rote Lilie, den runden Wipfel des Mangobaums, den Liguster mit den kleinen gelben Blüten, der dem Orkan ebenso wie der Dürre trotzte, die ganze Pflanzenwelt Catemacos… Und den Wollbaum am Ende des Urwaldes. Der mit Nägeln überzogen war. Den spitzen Stacheln, die der Wollbaum wachsen ließ, um sich zu schützen. Ein mit Klingen gespickter Baumstamm, der sich verteidigte, damit ihm niemand zu nahe kam. Der Wollbaum am Ende des Weges. Der Wollbaum, übersät mit Fingern, die ein Veracruzaner Straßenräuber mit einem kräftigen Machetenhieb abgehackt hatte.
Immer, wenn der Abend kam, setzten sie sich zusammen in den Garten. Sie sprachen über alltägliche Dinge, die Lebensmittelpreise auf dem Markt, das Essen des nächsten Tages, wie verspätet die amerikanischen Zeitschriften in Tepoztlân einträfen (wenn sie überhaupt ankamen), daß die Gruppe in Cuernavaca so freundlich sei, ihnen Ausschnitte zuzuschicken, immer nur Ausschnitte, niemals ganze Zeitungen oder Zeitschriften, daß die Kurzwellensendungen im Radio ein Segen seien, ob man nach Cuernavaca ins Cine Ocampo fahren solle, um sich diesen oder jenen Cowboyfilm oder die mexikanischen Melodramen anzusehen, die Laura zum Lachen und Harry zum Weinen brachten. Nie mehr besuchten sie das Haus der Beils, »die Akademie des Aristoteles«, wie Harry es nannte, ihn langweilten die ewigen Diskussionen, die immer die gleichen seien, eine Tragikomödie in drei Akten.
»Der erste Akt ist die Vernunft. Die Überzeugung, die uns zum Kommunismus geführt und dazu gebracht hat, mit der Linken zu sympathisieren, mit der Sache der Arbeiter, dem Glauben an Marx' Argumente und an die Sowjetunion als dem ersten revolutionären Arbeiterstaat. Damit
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