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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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und die kantigen Gesichtszüge, die schmale, große Nase mit ihrem Höcker und die zarten gotischen Lippen, noch deutlicher hervortraten. Den Gesamteindruck retteten die klugen, funkelnden Augen am Grund der dunklen Augenhöhlen.
    Er sah ihr bei den Haus- und Küchenarbeiten zu, wie sie das Bett machte, Geschirr abwusch, die Mahlzeiten zubereitete, ausgiebig duschte, sich auf die Toilette setzte, keine Monatsbinden mehr benutzte, unter plötzlichen Hitzewallungen litt, sich zum Schlafen in einer fötalen Haltung zusammenkauerte, während er selbst steif wie ein Brett dalag, bis zu dem Tag, an dem sie unerklärlicherweise ihre Haltungen austauschten, er sich wie ein Fötus hinlegte und sie sich starr ausstreckte, ein Kind und seine Gouvernante.
    Er sagte sich, daß er dachte, was sie dachte, wenn sie sich im Spiegel ansah, sich aus der nächtlichen, zuneigungsvollen Umarmung der Liebenden gelöst hatte: Eine Sache ist es, Körper zu sein, und eine andere, schön zu sein. Wie warm und zärtlich war es, einander zu umarmen und zu lieben, und vor allem wie heilsam. Das Heil der Liebe bestand darin, den eigenen Körper zu ignorieren und im Körper des anderen aufzugehen, zuzulassen, daß sich der eine den anderen einverleibte und nicht an die Schönheit dachte, daß sich der eine als nicht vom anderen abgesondert betrachtete, daß sie vielmehr blind vereint, reiner Tastsinn, reine Lust waren, ohne die Sanktionen der Häßlichkeit oder der Schönheit, die im Dunkeln, in der engen Umarmung nicht mehr wirken, wenn die Körper miteinander verschmelzen und sich nicht mehr außerhalb von sich selbst betrachten, einander nicht mehr außerhalb des Paars beurteilen, das sich begattet, bis  aus zweien eins wird und jede Vorstellung von Häßlichkeit oder Schönheit, von Jugend oder Alter aufgehoben wird. Das sagte sich Harry und dachte, daß Laura zu ihm sagte: Ich sehe in dir nur die innere Schönheit…
    In seinem Fall war das leicht, er magerte immer mehr ab, war wirklich weiß wie der Bauch eines Schnapperfischs, dachte Laura, er war nicht einmal ein distinguierter Kahlkopf, sondern hatte eine spärlich behaarte Platte mit kleinen, abrupt hervorstoßenden Borstenbüscheln, die sich dem würdigen, vollständigen Haarausfall widersetzten. Haare wie trockene Grashalme am Scheitel, über den Ohren, im plumpen Nacken. Schwerer war es in ihrem Fall, Laura war auch äußerlich schön, ihre Schönheit ließ sich klar erkennen, bemühte sich Harry, ihr zu sagen, sie wirkte klassisch, gemäß dem seit den Zeiten der Griechen geltenden Schönheitsbegriff, folgte aber auch einer anderen Schön-heitsnorm, der einer aztekischen Gottheit, der Coatlicue und nicht der Venus von Milo.
    »Sokrates war ein häßlicher Mann, Laura. Er betete jeden Abend, um so seine eigene innere Schönheit zu erfahren. Das war die Gabe der Götter. Das Denken, die Vorstellungskraft. Dort lag die Schönheit des Sokrates.«
    »Wollte er nicht, daß auch die übrigen diese Schönheit sahen?«
    »Ich glaube, seine Reden waren die eines eitlen Mannes. Der so eitel war, daß er lieber den Schierlingsbecher trank, als zuzugeben, daß er sich geirrt hätte. Und er hatte sich nicht geirrt. Er beharrte fest auf seiner Meinung.«
    Immer sprachen sie schließlich über das gleiche, aber nie gelangten sie zum Grund jenes »Gleichen«. Sokrates starb lieber, als daß er widerrufen hätte. Ebenso wie die Opfer McCarthys. Im Gegensatz zu den Denunzianten. Und nun sah ihr Harry zu, wie sie sich im Spiegel ansah, und er fragte sich, ob sie das gleiche sah wie er, einen äußeren Körper, der trotz allem allmählich seine Schönheit einbüßte, oder ihr inneres Wesen, das allmählich eine andere Schönheit gewann.
    Sie beurteilte ihn anscheinend nicht. Sie akzeptierte ihn so, wie er war, während er sich versucht fühlte, sich abstoßend zu verhalten: ›Warum färbst du dir nicht das Haar, warum legst du dir keine stilvollere Frisur zu?‹ wollte er schon fragen. Warum hatte sie jede Koketterie aufgegeben? Und sie dachte: Er sieht mich an, als wäre ich seine Krankenschwester oder seine Amme, gern würde ich eine Sirene werden, aber mein armer Odysseus ist ausgebrannt, unbeweglich verzehrt er sich in seinem Aschemeer, der Rauch nimmt ihm die Luft, und langsam verschwindet er im Dunst seiner vier Schachteln Camel täglich, wenn ihm Fredric Bell eine Stange schenkt, oder seiner fünf Schachteln Raleigh ohne Mundstück, die nach Seife schmecken, wie er sagt, aber sie sind das Beste,

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