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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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lebenswert war und sich vereinnahmen ließ.
    Hier, in genau diesen Straßen, der Galle de Génova, Londres, Hamburgo und Amberes, hatten die verarmten Aristokraten der Dïaz-Ära gewohnt, hier wurden die ersten eleganten Nachtlokale – Casanova, Minuit, Sans Souci – während des Zweiten Weltkriegs eröffnet, der die Haupstadt in ein kosmopolitisches Zentrum verwandelte. Hier, in der La-Votiva-Kirche, hatte Danton seinen kühnen Gipfelsturm begonnen, hier, auf dem Pa-seo de la Reforma, waren die jungen Leute Richtung Tlatelolco in den Tod marschiert, hier hatte man jene Cafés aufgemacht, die Heimstatt der literarischen Jugend wurden – Kineret, Tirol und Perro Andaluz –, hier befanden sich die von den Wohlhabenden geschätzten Gaststätten – Focolare, Rivoli, Estoril und das von allen bevorzugte Restaurant, das Bellinghausen mit seinen Spezialitäten, den Schmetterlingsraupen, Nudelsuppen, Ameiseneiern und filetés chemita, zarten Filetsteaks mit Huitlacoche-Pil-zen, dem köstlichen Pudding mit Eierlikör und den Krügen Bier, das kühler als in jedem anderen Lokal war. Und als die Metro eingeweiht wurde, erschienen gerade hier, von den Zügen ausgespuckt, die Gammler, Lebenskünstler und Jugendcliquen der verlorenen Viertel, wurden aus den Stadtwüsten an jenen Ort befördert, wo die Kamele tranken und die Karawanen ausruhten: der Zona Rosa, wie der Maler José Luis Cuevas sie getauft hatte.
    Laura, die bisher alles fotografiert hatte, fühlte, daß sie nicht mehr die Kraft hatte, auch diese neue Erscheinung in Bildern festzuhalten. Die Stadt entzog sich ihrem Blick. Der Schwerpunkt der Hauptstadt hatte sich in Lauras Leben allzuoft verlagert, vom Zöcalo, der Avenida Madero und der Avenida Juarez nach Las Lomas und Polanco, zum Paseo de la Reforma, der von einer vornehmen Pariser Allee zu einer Geschäftsstraße wie in Dallas wurde, und nun kam die Zona Rosa an die Reihe, doch auch ihre Tage waren gezählt. Laura Dïaz roch es in der Luft, sah es in den Blicken, spürte es auf der Haut, daß sich Zeiten des Verbrechens, der Unsicherheit und des Hungers ankündigten, eine erstickende Atmosphäre, unsichtbare Berge, rasch vorüberziehende Sterne, eine trübe Sonne, das lebensbedrohliche Grubengas einer Stadt, die sich in einen bodenlosen Stollen verwandelte, der jedoch keine Schätze barg, in lichtlose Abgründe, in denen der Tod lauerte.
    Ließ sich die Leidenschaft von der Gewalt trennen?
    Auf die Frage des Landes, die Frage der Hauptstadt antwortete Laura Dïaz mit ja. Nach ihrem letzten Rendezvous mit Orlando Ximénez sagte sie schließlich: Ja, ich glaube, ich habe es geschafft, die Leidenschaft von der Gewalt zu trennen.
    Was ich nicht geschafft habe, bekannte sie, als sie ohne alle Eile von der Galle de Niza zur Plaza Rio de Janeiro lief, dabei durch die Galle de Orizaba ging und an den altvertrauten, beinahe totemistischen Stätten ihres Alltagslebens vorbeikam – der Kirche der Heiligen Familie, der Eisdiele Chiandoni, der Gemischtwarenhandlung, dem Schreibwarengeschäft, der Apotheke, dem Zeitungsstand an der Ecke der Galle de Puebla –, ich habe nicht allzu viele Geheimnisse aufgeklärt, außer dem Orlandos, und das auch erst heute nachmittag: Er hat ständig auf etwas gewartet, das nie eingetroffen ist, sein Schicksal war es, das Unerwartbare zu gewärtigen. Heute nachmittag wollte er sich mit seinem Heiratsantrag diesem Schicksal entziehen, doch das Schicksal, die zum Verhängnis gewordene Erfahrung, hat wieder einmal triumphiert. Es war unabwendbar, murmelte Laura, die vom plötzlichen Glanz einer langsam ersterbenden, in ihre eigene Schönheit verliebten Abenddämmerung umfangen wurde, einer narzißtischen Dämmerung im Tal von Mexiko, und sie sprach ein Lieblingsgedieht Jorge  Mauras nach:
    »Ach, wie glücklich der Baum, der kaum mehr etwas empfindet,
    glücklicher noch der Stein, der völlig ohne Gefühl ist: Es ist kein größerer Schmerz als der aufs Leben sich
    gründet und tiefere Kränkung keine als wissen, daß man noch hier ist…«
    Laura fühlte sich von den Worten jenes »Gesangs von Leben und Hoffnung« des wunderbaren nicaraguanischen Dichters Rüben Dario an diesem Augustabend eingehüllt, an diesem Abend, den der späte Regen reingewaschen und geläutert hatte, und so fand Mexico-Stadt für ein paar Augenblicke die verlorene Verheißung seiner hellglänzenden Schönheit wieder.
    Der kurze Wolkenbruch hatte pünktlich seine Aufgabe erfüllt, und »es hatte aufgeklart«, wie

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