Die Jahre mit Laura Diaz
undurchdringlichen Mauern, das schmucklose Tor, das Satteldach mit Vorsprüngen anstelle von Traufen, ein typisches »Patio-Haus« mit Wohn- und Schlafzimmern, die sich um den zentralen, mit großen Blumentöpfen und Geranien gefüllten Hof verteilten. Dona Leticia hatte mitgebracht, was sie als ihr Eigentum betrachtete, die Korbmöbel, die für die Tropen gedacht waren und hier nicht zur Feuchtigkeit paßten, außerdem die zwei Bilder mit dem Lausbuben und dem schlafenden Hund, die sie im Eßzimmer aufhängte.
Mit der Küche, dem ihr vorbehaltenen Herrschaftsbereich, war Leticia zufrieden, und schon nach kurzer Zeit paßte die Hausherrin ihre Küstengewohnheiten dem Geschmack des Gebirges an, bereitete mit weißem Mehl bestäubte Tamal-Maispasteten und Kleiebrote, und dem weißen Veracruzaner Reis fügte sie den Xalapaer Chileatole hinzu, eine köstliche Vereinigung von Teig, zarten Maiskolben, Huhn und süßem Quark, die sie in Gestalt kleiner Trüffeln, beinahe wie Zuckerplätzchen, herrichtete.
»Vorsicht«, sagte Don Fernando. »Hier macht das Essen dick, weil die Leute sich vor der Kälte schützen, indem sie Fett ansetzen.«
»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Wir sind eine knochendürre Familie«, antwortete Leticia, während sie unter den zärtlichen und stets bewundernden Blicken ihres Mannes Mo-Iota zubereitete, mit Bohnen und Hackfleisch gefüllte Pasteten. Das Brot wurde zu Hause gebacken: Durch die französische Besatzungsarmee hatte sich das Baguette als das zeitgemäße Brot durchgesetzt, doch in Mexiko, wo man seine Zuneigung mit Verkleinerungsformen ausdrückt, wenn man über Dinge und Menschen redet, wurde das Baguette zum »Bolillo« und der »Telera«, handtellergroßen Baguette-Teilen. Was jedoch nicht hieß, daß die traditionellen mexikanischen Süßbrote, der »Polvorön« und die »Cemita«, geopfert wurden, »Banderillas« und »Muscheln«, nicht zu vergessen die köstlichsten Leckerbissen der spanischen Backkunst: die langen, gezuckerten und in Schokolade getauchten Ölkringel.
Leticia verzichtete auch nicht auf die Tintenfische und Krebse der Küste, der sie bald nicht mehr nachtrauerte, denn ohne allzuviel darüber nachzudenken, paßte sie sich ihrem neuen Leben an, vor allem, wo es in diesem neuen Haus eine so imposante Küche mit großem Backofen und rundem Herd gab.
Das einstöckige Haus hatte eine einzige Dachkammer, die man durch den Hintereingang, das Tor des Kutschenschuppens, am anderen Ende des Hauses erreichte. Laura wollte die Kammer für sich, als eine Art intuitive Ehrung Santiagos, um ihr Leben, das Leben der Laura Dïaz, im Namen Santiagos zu vollenden; vielleicht war es aber auch Santiago, der sein Leben über den Tod hinaus lebte, von Laura in seinem Namen verkörpert. Jedenfalls brachte sie ihren Bruder mit einem eigenen Raum in Verbindung, einem abgehobenen, einsamen Ort, wo er geschrieben hätte und sie auf geheimnisvolle Weise, den Verstorbenen ehrend, ihre eigene Bestimmung finden würde.
»Was willst du machen, wenn du groß bist?« fragte ihre Banknachbarin Elizabeth Garcia in der Schule der Señoritas Ramos.
Laura wußte nicht, was sie antworten sollte. Wie konnte sie sagen, was allen verborgen und unbegreiflich war? Ich möchte das Leben meines Bruders Santiago vollenden, indem ich mich in der Dachkammer einschließe?
»Nein«, antwortete ihre Mutter. »Tut mir leid, da oben wohnt Armonia Aznar.«
»Wer ist das? Warum bekommt gerade sie die Dachkammer?«
»Das weiß ich nicht. Frag deinen Vater. Anscheinend hat sie immer dort gelebt. Wir haben das Haus nur unter der Bedingung bekommen, daß sie hierbleiben kann und daß niemand sie stört, oder noch besser: daß sich niemand um sie kümmert.«
»Ist sie verrückt?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Nein«, sagte Don Fernando, »Señorita Aznar wohnt dort, weil sie gewissermaßen die Hausherrin ist. Sie ist Spanierin, die Tochter von spanischen Anarchosyndikalisten, du weißt ja, daß da viele nach Mexiko gekommen sind, als Juarez über Maximilian siegte. Sie glaubten, die Freiheit hier im Land finden zu können. Als dann Don Porfirio an die Macht kam, kehrten etliche von ihnen enttäuscht nach Barcelona zurück, dort würde es nach dem friedlichen Regierungswechsel zwischen Sagasta und Canovas mehr Freiheit geben als hier mit Don Porfirio. Andere ließen ihre Ideale Ideale sein und wurden Kaufleute, Landwirte und Bankiers.«
»Und was hat das damit zu tun, daß diese Senoita in der Dachkammer
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