Die Jahre mit Laura Diaz
Fischbeinstäbchen und Korsetts à la Versailles aufgegeben. Die Mode war, wie der anglophile Don Fernando sagte, streamlined, das heißt, glatt wie ein Fluß, einfach und linear, an die weiblichen Körperformen angepaßt, zart und verheißungsvoll um Schultern, Busen und Taille, weit geschwungen unterhalb der Hüften. Lauras Pariser Modell wurde zwischen Hüften und Waden mit überreichem Faltenwurf aufgesteckt, als hielte eine Königin die Schleppe ihres Gewandes zum Tanz gerafft, sonst hätte die sich bei jedem Schwung um ihre Beine drapiert.
Laura betrachtete sich selbst, nicht das Ballkleid. Ihr siebzehntes Lebensjahr hob die Verheißungen des zwölften stärker hervor, ohne sie endgültig zu erfüllen. Sie besaß ein kräftiges Gesicht, die Stirn zu breit, die leichte Adlernase zu groß, die Lippen zu schmal, allerdings gefielen ihr die Augen, sie waren von reinem, beinahe goldenem Kastanienbraun und manchmal, wenn der Tag anbrach oder endete, wirklich golden. Als träumte sie mit offenen Augen.
»Die Nase, Mama…«
»Du hast Glück, sieh dir die italienischen Filmschauspielerinnen an. Die haben alle große Nasen… nun ja, ein ausgeprägtes Profil. Erzähl mir nicht, daß du ein stumpfnasiges, witzloses Ohrfeigengesicht haben möchtest.«
»Die Stirn, Mama…«
»Wenn sie dir nicht gefällt, dreh dir eine Stirnlocke und verdecke sie.«
»Die Lippen…«
»Mal sie dir so groß, wie du möchtest. Und sieh nur, mein Liebling, was für wunderschöne Augen Gott dir gegeben hat.«
»Das stimmt, Mama.«
»Du kleine Angeberin.« Leticia lächelte.
Laura getraute sich nicht, vorsorglich Einspruch zu erheben: Und wenn Küsse den Lippenstift verwischen, sehe ich dann nicht aus wie eine Komödiantin? Ob man mich dann noch einmal küssen will? Oder muß ich die Lippen wie eine kleine Alte zusammenkneifen, mich an den Bauch fassen, als wollte ich mich übergeben, und ins Bad rennen, um den Mund nachzumalen? Wie kompliziert es ist, eine Señonta zu werden.
»Zerbrich dir nicht den Kopf. Du bist bildhübsch. Du wirst Furore machen.«
Laura fragte ihre Mutter nicht, warum sie nicht mitkam. Sie würde das einzige Mädchen ohne Anstandsdame sein. Machte das nicht einen schlechten Eindruck? Leticia hatte schon genug geseufzt, und sie nahm sich vor, damit aufzuhören. Sie mußte an ihre Mutter Cosima denken, wie sie in Catemaco in ihrem Schaukelstuhl gesessen hatte. Sie hatte wahrhaftig schon genug geseufzt. Wie Don Fernando sagen würde, it never rains but it fours.
Die drei ledigen Tanten kümmerten sich nun um Großvater Felipe Kelsen, dessen Beschwerden sich allmählich, aber unablässig häuften, wie er selbst es vorausgesagt hatte, als sie ihn ein einziges Mal zwangen, einen Doktor in Veracruz aufzusuchen. »Was hat er festgestellt, Papa?« fragten die drei Schwestern wie aus einem Munde, was sie sich immer stärker angewöhnten, ohne es selbst zu merken.
»Ich habe Gallensteine, Herzrhythmusstörungen, eine melonengroße Prostata, Magendivertikel und ein entstehendes Lungenemphysem.«
Die Töchter blickten ihn ängstlich, aufgeregt und erstaunt an, aber Felipe Kelsen lachte nur.
»Macht euch keine Sorgen. Doktor Miquis sagt, für sich betrachtet erledigt mich keine von meinen Krankheiten. Aber an dem Tag, an dem sie sich zusammentun, falle ich wie vom Blitz getroffen um.«
Leticia war nicht bei ihrem kranken Vater, ihr Mann brauchte sie. Nach der Erschießung Santiagos wurde er vom Generaldirektor der Bank nach Mexico-Stadt bestellt.
»Das ist nicht böse gemeint, Don Fernando, aber Sie verstehen, daß gute Beziehungen zur Regierung für die Bank lebenswichtig sind. Ich weiß ja, daß niemand an den Taten seiner Kinder schuld ist, allerdings bleibt es nun einmal eine Tatsache, daß sie unsere Kinder sind – ich habe acht, ich weiß, wovon ich rede. Und wenn wir auch nicht schuld sind an dem, was sie tun, so tragen wir doch Verantwortung für sie, vor allem, wenn sie unter unserem Dach leben.«
»Fassen Sie sich kurz, Herr Direktor. Dieses Gespräch
schmerzt mich.«
»Also dann, Ihr Nachfolger in Veracruz ist bereits ernannt.« Fernando Dïaz verzichtete auf einen Kommentar. Er warf dem Generaldirektor einen harten Blick zu.
»Aber machen Sie sich keine Sorgen. Wir versetzen Sie in die Filiale von Xalapa. Es geht nicht darum, Sie zu bestrafen, sondern besonnen zu handeln, ohne Ihre Verdienste zu schmälern, mein Freund. Die gleiche Stellung, aber eine andere Stadt.«
»Wo mich niemand mit meinem Sohn
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