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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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Soldatenfrauen, die Tamales und Trinkschokolade an den Ecken verkauften, dabei Corridos und Namen verlorener Schlachten summten, die Stadt der Vizekönige mit proletarischem Pulsschlag, die in Mietshäuser verwandelten Paläste, die Portale, an denen sich Süßwarenläden und Losbuden, Gemischtwarenhandlungen und Sattlereien verschanzt hatten, die zu Nachtasylen umgewandelten früheren Herbergen, in denen Landstreicher und Gesindel, obdachlose Bettler, verwirrte alte Leute inmitten eines ekelhaften kollektiven Gestanks schliefen, ein Vorspiel zum Duft der Hurengassen, in denen sich die Prostituierten halb aus den Haustüren beugten, die einladend und auffordernd offenstanden, der Geruch von Huren, ganz ähnlich wie der von Bestattungsunternehmen, Gardenie und Eichel, beide in aufgeschwemmtem Zustand, die nach Erbrochenem und dem Harn von Straßenhunden stinkenden Kneipen, die Heerscharen frei umherschweifender, räudiger Tiere, in den sich immer weiter ausdehnenden und immer graueren Abfallhaufen wühlend, die wie eine große krebszerfressene Lunge eiterten und bald einmal der Stadt den Atem nehmen würden. Der Müll hatte die wenigen Kanäle überflutet, die von der indianischen Stadt, der ermordeten Stadt übriggeblieben waren. Es hieß, daß man sie entwässern und zubetonieren wollte.
    »Womit willst du also anfangen, Laura?«
    »Sag du es mir, Juan Francisco.«
    »Soll ich? Mit deinem Haushalt. Führe deinen Haushalt gut, Mädchen, und du leistest einen größeren Beitrag, als wenn du in diese Viertel hier kommst, um Leute zu organisieren und zu retten, die es dir nicht einmal danken würden. Überlaß mir diese Arbeit. Das ist nichts für dich.«
    Er hatte recht. Als Laura an jenem Abend nach Hause kam, fühlte sie sich leidenschaftlich erregt, ohne richtig zu verstehen, warum, als hätte der Abstieg in diese Stadt, die ihre eigene und ihr doch fremd war, einer Leidenschaft neuen Schwung gegeben, mit der sie in ihrer Kindheit den Urwald und dessen steinerne, von Lianen und Juwelen umschlungene Riesinnen entdeckt hatte, die Bäume und ihre zwischen Lorbeerbäumen versteckten Götter; einer Leidenschaft, die sie in Veracruz mit Santiago geteilt und die sich im Lauf der Jahre noch gesteigert hatte, obwohl er gestorben war; der in Xalapa zurückgewiesenen Leidenschaft des hingebungsvollen Körpers Orlandos, der Leidenschaft, mit der sie den vom Schicksal besiegten Körper ihres Vaters hartnäckig umarmt hatte. Und nun Juan Francisco, Mexico-Stadt, das Haus, die Kinder und eine Bitte, die ihr Mann so abwehrte, wie man eine Fliege erschlägt: Erlaube mir, daß ich mich leidenschaftlich für dich und deine Arbeit begeistere, Juan Francisco.
    Vielleicht hat er recht. Aber er hat mich nicht verstanden. Er muß mehr für das tun, was sich in meiner Seele regt. Ich will alles das, was ich habe, um nichts auf der Welt würde ich es hergeben. Doch ich will auch mehr. Was?
    Von einer leidenschaftlichen Seele verlangte er stummen Gehorsam.
    »Wo ist der Wagen, Juan Francisco?«
    »Ich habe ihn zurückgegeben. Sieh mich nicht so an. Die Genossen haben es von mir verlangt. Ich soll nichts von der offiziellen Gewerkschaft annehmen. Das nennen sie Bestechung.«

VII. Avenida Sonora: 1928
     
    Woran dachte er? Woran dachte sie?
    Er war undurchdringlich wie eine Kugel aus Messern. Sie konnte nur wissen, woran er dachte, wenn sie wußte, woran sie selbst dachte. Woran sie dachte, wenn er ihr mit einer Hartnäckigkeit, die sie immer stärker erbitterte und die ihn herabsetzte, regelmäßig vorwarf, daß sie in Xalapa nicht zur Dachkammer hochgestiegen war, um die katalanische Anarchistin zu besuchen. Schließlich bekam sie es satt und kapitulierte, verzichtete auf ihre Rechtfertigungen und notierte sich fortan in einem karierten Heftchen, das sie für die Haushaltsrechnungen benutzte, wie oft er sie wegen ihrer Unterlassung tadelte, ohne daß sie ihn herausgefordert hatte. Das war keine Zurechtweisung mehr, sondern ein nervöser Tick, wie das unfreiwillige Blinzeln starr aufgesperrter Augen, denen das Licht fehlte. Die hatte sie vor Augen, wenn sie wieder einmal die gleiche Rede seit neun Jahren hörte, die zuerst so frisch, so kraftvoll und dann immer schwerer verständlich geklungen hatte, weil sie sich immer schwerer ertragen ließ, sie war allzu vernünftig, vergebens hoffte Laura auf eine Traumvision der Rede, nicht auf die Rede selbst, sondern deren Vision, vor allem, als ihre Kinder Santiago und Danton sprechen lernten und sie

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