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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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strengen Lippen und der mürrischen Miene ein unsichtbares Feuer überträgt.
    Als sich Laura dagegen am Nationalpalast in ihrem neuen Kleid mit dem edelsteinbesetzten Dekollete und dem kurzen Rock auf die Treppe setzte, um Diego Rivera beim Malen zuzusehen, ließ der sich gleich ablenken und starrte sie so eindringlich an, daß sie errötete.
    »Du hast ein Gesicht wie ein Junge, oder eine Madonna. Ich weiß es nicht. Such es dir aus. Wer bist du?« fragte Rivera in einer Pause.
    »Ich bin ein Mädchen.« Laura lächelte. »Und ich habe zwei Söhne.«
    »Ich habe zwei Töchter. Verheiraten wir die vier miteinander, damit wir uns die Rotznasen vom Hals schaffen und ich dich malen kann, nicht als Frau und nicht als Mann, sondern als Hermaphrodit. Weißt du, welchen Vorteil das hätte? Du könntest dich selber lieben, den Mann oder die Frau.«
    Er war das Gegenteil Orozcos. Eine ungeheuere dicke, große Kröte mit schläfrigen Glotzaugen. Als sie an einem anderen Tag ganz schwarzgekleidet und mit einem schwarzen Band um den Kopf erschien, weil ihr Vater in Xalapa gestorben war, wurde sie von einem Gehilfen des Malers zum Fortgehen aufgefordert: Der Meister habe Angst vor dem bösen Blick, und er könne nicht malen, wenn er die Finger kreuzen müsse, um das Unglück abzuwehren.
    »Nur weil ich Trauer trage? Wie abergläubisch Sie sind, roter Meister, daß Sie sich vor einer schwarzen Frau fürchten.«
    Ihr war keine Zeit geblieben, rechtzeitig zur Beerdigung nach Xalapa zu kommen. Ihre Mutter Leticia, Mutti, hatte ihr ein Telegramm geschickt. Du hast deine Pflichten, Laura, einen Mann und zwei Kinder. Komm nicht her. Sonst schrieb sie nichts. »Vor dem Tod hat dein Vater an dich gedacht, er hat deinen Namen gesagt, konnte ein letztes Mal sprechen, nur um Laura zu sagen, Gott hat ihm diese letzte Gunst gewährt, noch ein einziges Mal«.
    »Er war ein anständiger Mann, Laura«, sagte Juan Francisco. »Du weißt, wie er uns geholfen hat.«
    »Das hat er für Santiago getan«, antwortete Laura mit dem Telegramm in der einen Hand, während sie mit der anderen die Gardine beiseite schob, um in den beinahe schwarzen Regen, es war sechs Uhr abends, hinauszustarren, als könnte ihr Blick bis zum Friedhof in Xalapa reichen. Die Gipfel der beiden Vulkane auf der Hochebene erhoben sich mit ihren weißen Kronen über dem Unwetter.
    Als Maria de la O zurückkam, sagte sie, Gott wisse, was er tue, Fernando Dïaz habe sterben wollen, um keine Last zu sein. Der Blick zwischen den beiden sei direkt und verständnisvoll gewesen. Wie hätte er auch anders sein können bei dem Mann, der ihre Mutter gerettet hatte, der sie unterstützte und ihr ein würdiges Alter ermöglichte?
    »Lebt deine Mutter noch?«
    Die Tante geriet in Verlegenheit, sie schüttelte den Kopf und sagte, ich weiß nicht, ich weiß nicht, aber an einem Morgen fuhr sie die Kleinen im Kinderwagen aus, während Laura zu Hause blieb und die Betten machte, und dabei entdeckte Laura unter dem Kopfkissen die alte Daguerreotypie einer hübschen und schlanken Schwarzen; sie war dekolletiert und hatte feurige Lippen, einen herausfordernden Blick, eine Wespentaille und Brüste wie zwei harte Melonen. Schnell versteckte Laura das Bild, als sie Maria de la O zurückkommen hörte, die nach drei Häuserblocks erschöpft war und auf ihren geschwollenen Knöcheln schwankte.
    »Das ist nur, weil diese Stadt so hoch liegt, liebe Laura«, schnaufte sie.
    Es lag an der Höhe und der stickigen Luft. Am Regen und seiner erfrischenden Luft. Das war wie der Herzschlag Mexikos: Sonne und Regen, Regen und Sonne, Enge und Weite, jeden Tag aufs neue. Zum Glück gab es Regennächte und heitere Morgen. An den Wochenenden kam Xavier Icaza zu Besuch und brachte ihnen bei, den Ford richtig zu fahren, den die CROM Juan Francisco geschenkt hatte.
    Laura zeigte dabei größeres Geschick als ihr massiger, schwerfälliger Mann, der beinahe nicht in den Sitz hineinpaßte und kaum wußte, wo er seine Knie lassen sollte. Sie hingegen entdeckte, daß sie ein angeborenes Fahrtalent hatte, und so konnte sie die Kinder nach Xochimilco chauffieren, um die Kanäle anzusehen, nach Tenayuca, um die Pyramide zu besichtigen, nach Milpa Alta, um einen Spaziergang zwischen den Ställen zu machen und jenen einzigartigen Duft nach Kühen und Milch, Stroh und nassen Tierrücken aufzunehmen und lauwarme, frischgemolkene Milch zu trinken.
    Eines Tages, als Rivera sie wieder in den Palast ließ, nachdem sie keine Trauer mehr

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