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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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Ende die vier Kelsen-Schwestern behalten hatten, die nicht mehr aus dem Haus kamen und dem Schwarzen Zampayita erlaubten, mit ihm anzugeben, indem er ihn ab und zu fuhr oder die Kinder auf einem Ausflug beförderte. Sie sah die vier Kelsen-Schwestern im Isotta-Fraschini sitzen, die vier hatten äußerste Anstrengung auf sich genommen, mitzukommen und sie zusammen mit den Kindern zu verabschieden. Danton sah sie nicht an; mit Nase und Mund machte er sonderbare Geräusche und tat so, als lenkte er das Auto. Den Blick Santiagos würde sie nicht vergessen. Er war sein eigenes Trugbild.
    Der Zug fuhr ab, und Laura verspürte plötzlich Angst. Im Haus in Xalapa gab es nicht nur die vier Frauen. Li Po! Wieder hatte sie Li Po vergessen! Wo war die chinesische Puppe, warum hatte sie wieder nicht an sie gedacht? Sie wollte rufen, fragen, doch der Zug entfernte sich, die Taschentücher winkten.
    »Kannst du dir einen Arbeiterführer mit einem europäischen Luxusauto in der Garage vorstellen? Denk nicht mehr daran, Laura. Schenke es deiner Mama und deinen Tanten.«

 
X. Detroit:
     
    Eine Nachricht Orlandos hatte sie beim Portier des Hotel Régis erwartet, als sie aus Xalapa zurückkam. Nur eine Nachricht.
    »Laura, meine Liebste, ich bin nicht, was ich sage, und auch nicht, was ich scheine, und ich möchte mein Geheimnis lieber für mich behalten. Du näherst dich allzusehr dem Mysterium deines Orlando. Und ohne Mysterium würde es unserer Liebe an Interesse fehlen. Ich werde dich immer lieben…«
    Die Geschäftsführung informierte sie, daß sie sich nicht beeilen müsse, das Zimmer aufzugeben, Señora Cortina habe bis zur nächsten Woche alles bezahlt.
    »Ja, Dona Carmen Cortina. Sie bezahlt das Zimmer, in dem Sie und Ihr Freund Señor Ximénez wohnen. Schließlich bezahlt sie seit drei Jahren für Señor Ximénez.«
    Wessen Freund ist er? Verständnislos stellte sie sich diese Frage. Welche Art Freund war er? Ein Freund Lauras, ein Freund Carmens? Wessen Liebhaber? Der Liebhaber beider?
    Nun, in Detroit, erinnerte sie sich an das schreckliche Gefühl der Hilflosigkeit, das sie in jenem Augenblick überwältigt hatte, an das drängende Bedürfnis, bemitleidet zu werden, an »meinen Hunger nach Mitgefühl« und ihre sofortige Reaktion, die ebenso abrupt wie die Trostlosigkeit war und sie trieb, Diego Rivera in seinem Haus in Coyoacân aufzusuchen und ihm zu sagen: »Hier bin ich, erinnerst du dich an mich? Ich brauche Arbeit, ich brauche ein Dach, bitte nimm mich auf, Meister.«
    »Ach, das schwarzgekleidete Mädchen.«
    »Ja, deshalb trage ich wieder Trauer. Erinnerst du dich an mich?«
    »Ich halte Schwarz immer noch für abscheulich, es geht mir auf die Nerven. Sag Frida, sie soll dir etwas Bunteres geben, und dann reden wir. Dennoch scheinst du mir ganz anders und sehr hübsch.«
    »Mir auch«, sagte hinter ihr eine melodiöse Stimme, und Frida Kahlo kam herein, begleitet vom Klirren ihrer Halsketten, Medaillen und Ringe. Vor allem die Ringe fielen auf, einer an jedem Finger, manchmal zwei: Laura Dïaz erinnerte sich an das Abenteuer ihrer Großmutter Côsima Kelsen und fragte sich, als sie die ungewöhnliche Frau mit den zusammengewachsenen Augenbrauen, dem schwarzen, mit Wollbändern verflochtenen Haar und dem weiten Bäuerinnenrock ins Atelier kommen sah, ob der Protz von Papantla Großmutter Côsima die Ringe nur gestohlen hatte, um sie seiner Geliebten Frida zu überreichen. Laura war überzeugt, daß Riveras Frau die Göttin der Metamorphosen war, die sie gemeinsam mit Großvater Felipe im Vera-cruzaner Urwald entdeckt hatte, jene Figur der Kultur von El Zapotal, der Großvater Felipe Kelsen den mythischen Zauber nehmen wollte, indem er sie zu einem einfachen Wollbaum erklärte, damit das Mädchen nicht an Phantasiegeschichten glaubte – eine wunderbare Frauengestalt, die in die Ewigkeit sah, mit Schnecken und Schlangen umgürtet, an Armen, Nase und Ohren mit Ringen geschmückt und mit einer Krone, die der Urwald verfärbt hatte. Der Wollbaum war gefährlicher als die Frau, obwohl ihr Großvater etwas anderes gesagt hatte.
    War Frida Kahlo der vergängliche Name einer indianischen Gottheit, die mitunter feste Gestalt annahm und hier oder da auftauchte, um sich mit Kriegern, Banditen und Künstlern in Liebe zu vereinen?
    »Sie soll mit mir arbeiten«, sagte Frida herrisch, als sie die Treppe zum Atelier hinabstieg, ohne ihren Blick von Rivera Glotzaugen und den umschatteten Augenhöhlen Lauras abzuwenden, die, als

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