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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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verkaufen, wenn er nur einen grausamen Witz daraus machen kann. Weißt du, was er mir neulich bei der Ausstellung von diesem Tizoc gesagt hat? ›Adiôs, Pawlowa.‹ ›Adiôs, Arschficker‹, habe ich geantwortet und ihn mit offenem Mund dastehen lassen.«
    »Wie nachtragend du bist, liebste Frida. Wenn du schlecht über Novo redest, erlaubst du Novo, schlecht über uns zu reden.«
    »Tut er das nicht sowieso? Dich beschimpft er mindestens als Hahnrei, Diego.«
    »Das macht nichts. Das ist das Ressentiment, der Klatsch, die Anekdote. Was bleibt, ist der Schriftsteller Novo. Und der Maler Rivera. Das Leben bleibt. Die Anekdote verflüchtigt sich.«
    »In Ordnung. Diego, gib mir die Ukulele. Singen wir das ›Mixtekische Lied‹. Das ist mein Lieblingslied, wenn ich Mexiko so an mir vorbeiziehen sehe.
    ›Wie fern die Erde ist, wo ich geboren,
    Maßloses Heimweh überkommt mein Denken…‹«
    An der Grenze stiegen sie um, noch einmal in Saint Louis, Missouri, und von dort ging es direkt nach Detroit weiter. Frida sang und spielte Ukulele, erzählte pikante Witze, und als die Nacht kam und Rivera einschlief, ließ sie die endlosen Ebenen Nordamerikas an sich vorüberziehen und sprach über die Kolbenschläge der Lokomotive, dieses eiserne Herz, das sie mit seinem energischen und zugleich zerstörerischen Klopfen wie alle Maschinen erregte.
    »Als junges Mädchen habe ich Männersachen getragen und mit meinen Freunden in den Philosophiestunden Radau gemacht. Wir haben unsere Clique ›Los Cachuchas‹ genannt, und ich fühlte mich wohl, frei von den Konventionen meiner Klasse, mit diesen Jungen, die die Stadt genauso mochten wie ich. Endlos sind wir umhergelaufen, durch die Parks, die Wohnviertel, lernten die Stadt kennen, als wäre sie ein Buch, von Kneipe zu Kneipe, von Bude zu Bude, eine hübsche kleine Stadt, blau und rosa, eine Stadt mit allerliebsten, unordentlichen Parks, stillen Liebespaaren, breiten Alleen und finsteren Gassen voller Überraschungen…« Frida erzählte Laura ihr ganzes Leben, während die Ebenen von Kansas und die Weiten des Mississippi vorüberzogen. Sie hatte die Dunkelheit der Stadt gesucht, deren Geruch und Geschmack entdeckt, doch vor allem hatte sie Gesellschaft, Freundschaft, eine Möglichkeit gesucht, die Einsamkeit zum Teufel zu schicken, zur Clique zu gehören, sich vor Dreckskerlen zu schützen, »Laura, denn in Mexiko reicht es, daß du den Kopf hervorstreckst, und schon hackt ihn dir eine ganze Truppe von Zwergen ab«.
    »Ressentiment und Einsamkeit«, wiederholte die Frau mit den sanften Augen unter den angriffslustigen Brauen, als sie sich vier Rosen anstelle einer Krone ins Haar steckte und im Spiegel des Baderaums betrachtete, wie weihevoll ihr Haarschmuck wirkte und wie inmitten der Prärien die Sonne über dem großen Fluß unterging, dem »Vater der Gewässer«. Es roch nach Kohle, Schlamm, Dung, fruchtbarer Erde.
    »Wir heckten verrückte Streiche aus, zum Beispiel haben wir Straßenbahnen gestohlen und die Polizei gereizt, Jagd auf uns zu machen wie in den Filmen mit Buster Keaton, die mag ich am liebsten. Wer hätte sagen können, daß sich eine Straßenbahn an mir rächen würde, weil ich ihr das Küken weggeschnappt hatte? Wir von den ›Cachuchas‹ haben nur einsame Straßenbahnen gestohlen, die sie nachts in Indianilla abgestellt hatten. Wir haben keinem etwas weggenommen für die Freiheit, nachts durch die halbe Stadt zu fahren, wohin wir wollten, liebe Laura, wir gehorchten unserer Phantasie, auch wenn wir an die Gleise gebunden waren, von den Gleisen kommst du nie herunter, darin liegt das Geheimnis, du erkennst an, daß es Gleise gibt, und doch benutzt du sie, um zu entkommen, um dich zu befreien.«
    Der große, wie ein Meer weite Fluß, der Ursprung aller Gewässer der von den Indios verlorenen Erde, das Wasser, in dem du baden kannst, der Stoff, der dich freudig empfängt, dich umarmt, liebkost und erfrischt, er teilt die Räume genauso auf, wie Gott es geträumt hat: Das Wasser ist der göttliche Stoff, der dich aufnimmt, im Gegensatz zu allem Harten, das dich zurückweist, verletzt, durchdringt.
    »Im September 1925, vor sieben Jahren, ist es passiert. Ich kam von meinen Eltern in Coyoacân und fuhr im Bus, da stieß eine Straßenbahn mit uns zusammen und brach mir das Rückgrat, den Hals, die Rippen, das Becken, sie zertrümmerte alles, was meinen Körper im Inneren zusammenhielt. Und ich habe mir die linke Schulter ausgerenkt. Wie gut das meine Bluse mit

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