Die Jahre mit Laura Diaz
sie Frida in diesem Moment ansah, sich selber sah: Sie sah Laura Dïaz, die Laura Dïaz sah, sah sich verwandelt, eine neue Persönlichkeit trat hinter den altbekannten Gesichtszügen hervor, die sich jedoch ebenfalls verwandelten und die Laura Dïaz vielleicht gerade vergaß. Sie sah ihr ausgeprägtes, schmales und kräftiges Gesicht, ihre emporgereckte lange Nase mit dem markanten Rücken zwischen zwei sich immer mehr verdüsternden Augen, die mit Ringen, tief wie Seen der Ungewißheit, umschattet waren, welche am Rand der bleichen Wangen endeten, die glücklich waren, auf die karminroten, schmalen und nun strengeren Lippen zu stoßen, als wäre Lauras ganzes Gesicht gotischer, statuenhafter geworden – nur um einen Kontrast zu dem Fridas zu bilden, dem des pflanzenhaften Lebens einer ermatteten, sich aber immer weiter entfaltenden Blume, der Frau Diego Riveras.
»Sie soll mit mir kommen. Ich brauche in Detroit eine Hilfe, während du arbeitest und ich, du weißt schon…«
Sie machte einen falschen Schritt und verlor den Halt, Laura eilte ihr zu Hilfe, packte sie bei den Armen und griff ungewollt auch nach ihrem Schenkel. »Haben Sie sich weh getan?« Sie hatte ein verdorrtes, abgezehrtes Bein gefühlt, die beiden Frauen wechselten einen verträumten, sonderbaren Blick, herausfordernd und zugleich verletzt. Rivera lachte.
»Reg dich nicht auf. Ich wollte sie nicht für mich, liebste Frida. Sie gehört ganz dir. Stell dir vor, dieses Mädchen ist genau wie du eine Deutsche. Mit einer Walküre habe ich genug, das schwöre ich dir.«
Frida lud Laura in ihr Schlafzimmer ein, und als erstes holte sie einen Spiegel mit emailliertem und indigoblau bemaltem Rahmen hervor. »Hast du dich einmal angesehen, Mädchen? Weißt du, wie hübsch du bist, wie vorteilhaft du wirkst? Es gibt nicht viele großgewachsene Schönheiten mit einem Profil, das wie mit Machetenhieben herausgearbeitet wirkt, die Nase, die tiefliegenden, umschatteten Augen. Denkt dein Orlando, daß er deinem Blick die Trauer nehmen kann? Gib sie nicht auf. Mir gefällt sie.«
»Woher wissen Sie das alles?«
»Sag du zu mir. Diese Stadt ist ein Dorf. Hier erfährt man alles.«
Sie rückte die Kissen ihres Betts mit den bunten Pfosten zurecht, und während Laura ihr beim Einpacken half, sagte sie: »Morgen fahren wir ins Land der Gringos. Diego soll im Kunstinstitut von Detroit ein Wandbild malen. Ein Auftrag von Henry Ford, stell dir vor. Du kannst dir ja denken, was Diego zu ertragen hat. Die Kommunisten hier greifen ihn an, weil er Geld von einem Kapitalisten nimmt. Die Kapitalisten greifen ihn an, weil er Kommunist ist. Ich sage ihm bloß immer, daß ein Künstler über diesem lausigen Blödsinn steht. Wichtig ist das Werk. Das bleibt, das kann keiner auslöschen, und es spricht das Volk noch an, wenn die Politiker und die Kritiker längst den Geist aufgegeben haben.
Hast du was zum Anziehen? Ich möchte nicht, daß du mich nachmachst. Du weißt ja, daß ich mich immer wie zu einem Maskenball kostümiere, das ist mein persönlicher Geschmack, aber damit verstecke ich auch mein krankes Bein und mein Hinken. Wer hinkt, muß so was tun, glaub mir, zum Henker«, erklärte Frida und strich sich über den dunklen Flaum auf der Oberlippe.
Laura kam mit ihrem winzigen Koffer zurück. Ob Frida die kleinen Balenciaga- und Schiaparelli-Modelle gefallen würden, die sie zusammen mit Elizabeth, und dank Elizabeths Großzügigkeit, gekauft hatte, oder sollte sie sich wieder für eine einfachere Mode entscheiden? Intuitiv erfaßte sie, daß diese Frau, die ihr Äußeres derart kunstvoll gestaltete und schmückte, gerade deshalb bei anderen nach Natürlichkeit suchte. Auf diese Weise erreichte sie, daß die anderen bei ihr, Frida Kahlo, die Natürlichkeit des Außerordentlichen akzeptierten.
Zum Abschied küßte sie ihre haarlosen Hunde, und alle stiegen in den Zug nach Detroit.
Die lange Fahrt durch die Wüsten Nordmexikos mit ihren Agavenreihen erinnerte Rivera an einen Vers des jungen Lyrikers Salvador Novo, »die Agaven machen schwedische Gymnastik in Fünfhunderterreihen«, aber Frida sagte, dieser Kerl sei ein übler Bursche, Rivera solle sich vor ihm in acht nehmen, der sei eine Lästerzunge, ein schlechter Charakter, nicht wie die zärtlichen und liebevollen Schwulen, die sie kenne und die zu ihrer Clique gehörten. Rivera lachte. »Je schlechter, desto besser.«
»Nimm dich in acht vor ihm. Er ist einer von den Mexikanern, die ihre eigene Mutter
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