Die Jahre mit Laura Diaz
die Vergangenheit zum Tod verurteile.
»Eines Tages siehst du, wie wichtig die Vergangenheit für das Weiterleben ist, und damit die, die sich einmal liebhatten, na ja, sich auch weiter lieben.«
Obwohl Laura eine innige Beziehung zu ihrer Vergangenheit herzustellen vermochte, verstand sie es nicht, wirklichen Kontakt zu ihren Kindern zu bekommen. Santiago war ganz ein kleiner Kavalier, höflich und früh schon sehr ernst. Danton war ein kleiner Teufel, der für seine Mutter weder im Ernst noch im Spaß etwas übrighatte, als wäre sie eine weitere Tante in diesem Harem ohne Sultan. Laura fand nicht die richtigen Worte, um mit den beiden zu reden und sie für sich zu gewinnen, und sie spürte, daß der Fehler bei ihr lag, daß es in ihren Gefühlen einen Mangel gab, den sie überwinden mußte, nicht ihre Kinder.
Um genauer zu sein: Der jüngere Sohn benahm sich so, als wäre er der Sultan, der Fürst des Hauses, der nach eigenem Gutdünken handelte und nichts beweisen mußte, um das Einverständnis der vier Frauen zu erhalten, wobei diese ihn mit einer gewissen Furcht ansahen, während sie für seinen Bruder wirkliche Zuneigung zeigten. Danton schien sich etwas auf die fast schon ängstliche Zurückhaltung einzubilden, mit der ihn die Frauen behandelten, obwohl Maria de la O einmal murmelte: »Was dieser Rotzbengel braucht, ist, daß man ihm den Hintern versohlt!« Was geschah, als er eines Nachts ohne weitere Ankündigung nicht zum Schlafen heimkam – da übernahm es Großmutter Leticia, ihm den Hintern zu versohlen, worauf der Junge sagte, diese Beleidigung werde er nie vergessen.
»Ich beleidige dich nicht, du Affe, ich versohle dir bloß den Hintern. Beleidigungen hebe ich für wichtige Leute auf.«
Laura erlebte nur dieses eine Mal, daß ihre Mutter die Hand erhob. Lauras mangelnde Autorität trat dabei klar zutage, alles, was ihr fehlte und zunehmend ihre eigene Existenz prägte, als hätte eigentlich Laura die Prügel ihrer Mutter verdient, weil sie ihren aufsässigen Sohn nicht selbst zur Räson brachte.
Santiago sah dem allem mit ernstem Blick zu, und manchmal schien es, daß er sich einen resignierten, aber mißbilligenden Seufzer für seinen kleinen Bruder aufsparte.
Laura wollte sie zusammenbringen, um mit ihnen einen Spaziergang zu machen oder zu spielen, stieß bei beiden jedoch auf hartnäckigen Widerstand. Das ging nicht gegen sie, nicht Laura wurde von ihren Söhnen abgelehnt, die beiden lehnten sich gegenseitig ab, sie wirkten wie Rivalen aus zwei feindlichen Banden. Laura erinnerte sich an den alten Familienzwist zwischen den Anhängern der Alliierten und denen der Deutschen während des Krieges, doch das heute hatte nichts mit damals zu tun, das hier war eine Auseinandersetzung unterschiedlicher Charaktere und Persönlichkeiten. Wem ähnelte Santiago der Altere, wem Danton der Jüngere? (Im Grunde müßten sie umgekehrt heißen, Danton der Altere, Santiago der Jüngere – würde der zweite Santiago als Zwanzigjähriger wie sein junger erschossener Onkel werden? Würde Danton seinem Vater Juan Francisco ähneln? Ebenso ehrgeizig, der Sohn aber stark und nicht schwach wie sein Vater, denn Juan Francisco war ein schwacher Ehrgeizling, der sich mit wenigem zufriedengab?)
Sie fand nicht die richtigen Worte, um mit ihnen zu reden und sie für sich zu gewinnen, und natürlich lag der Fehler bei ihr.
»Ich verspreche dir, Mutti«, sagte sie beim Abschied zu Leticia, »daß ich mein Leben in Ordnung bringe, damit die Kinder zu uns zurückkommen können.«
Sie betonte das »uns«, und Leticia zog mit vorgetäuschter Überraschung eine Braue hoch, als hielte sie ihrer Tochter dieses unwahre »uns« vor und sagte ihr ohne Worte: Das war anders bei deinem Vater und mir, wir haben die Trennung ertragen, weil wir uns sehr geliebt haben. Doch Laura hatte eine heftige, ungewollte Vorahnung, so daß sie noch einmal erklärte: »Zu uns. Zu Juan Francisco und mir.«
Als sie in den Zug stieg, der sie zurück nach Mexico-Stadt bringen würde, wußte sie, daß sie gelogen hatte: Daß sie für sich und ihre Kinder ein Leben ohne Juan Francisco suchte und daß eine Versöhnung zwar ein leichter Ausweg, sicher aber die schlimmste Lösung für die Zukunft ihrer Kinder wäre.
Sie schob das Fenster des Pullmanwagens nach unten und sah die vier Frauen in dem Isotta-Fraschini sitzen, den Xavier Icaza in einer unnützen, aber eleganten Geste Juan Francisco und Laura zur Hochzeit hatte schenken wollen und den am
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