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Die Janus-Gleichung

Die Janus-Gleichung

Titel: Die Janus-Gleichung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Spruill
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sein eigenes, kleines Schaltbrett in der Hand. Er war erstaunt und angetan über die Schnelligkeit, mit der sie ihm durch die einzelnen Schritte der Gleichung bis zu dem Teilergebnis folgte. Dann machte sie einen Vorschlag, und Essian starrte sie an, völlig betäubt von der Erkenntnis, daß er zum erstenmal in seinem Leben einem Verstand begegnet war, der genauso überragend war wie sein eigener, wenn nicht noch überlegener. Er widmete sich wieder der Schalttafel und begann zu rechnen; erst langsam und dann mit immer größerer Sicherheit. Sie beugte sich so dicht neben ihm über das Brett, daß ihre Wange, durch den schwarzen Vorhang ihres Haares, fast die seine berührte. Von Zeit zu Zeit fiel ein einzelnes Wort oder auch ein Satz, Essian drang immer weiter vor, kaum daß er wußte, ob sie es gesagt oder er es gedacht hatte.
    Endlich kamen sie mit der Gleichung nicht mehr weiter. Jill gähnte und kuschelte sich in seine Armbeuge. Essian schaute auf die Uhr über der Bar, und nachdem er sich an die weitere Entfernung gewöhnt hatte, sah er, daß es bereits drei Uhr morgens war. Auf der Notiztafel war eine Gleichung zu erkennen, die nur noch wenige Schritte vor ihrer Vollendung stand. Er ließ den Kopf auf Jills sinken und war noch während er daran dachte, wie frisch ihr Haar roch, eingeschlafen.

X
     
     
     
    Essian stand vor der Wohnungstür von Eric Winters und überlegte ein letztes Mal, was er sagen würde, wenn der richtige Augenblick gekommen war. Scotch und Placemotes, die er noch immer warm in seinem Magen spürte, erfüllten ihre Aufgabe; er hatte keine Angst. Hinter ihm räusperte sich Adamly, und Essian betätigte die Klingel, erstaunt darüber, daß er fast eine Minute lang wie in Trance dort gestanden hatte. Die Tür öffnete sich, und Winters bat ihn herein, ohne den Leibwächter zu beachten, der im Gang stehenblieb. Wortlos ging der massige Mann ins Kaminzimmer voran. Es war das erste Mal seit jenem Abend, an dem er so kläglich versagt hatte, daß sich Essian in der Wohnung seines Freundes aufhielt. Wände und Vorhänge des Kaminzimmers hüllten ihn mit dem Duft des Freundes ein – das volle Aroma des Pfeifentabaks, das sich mit seinem herben Eau de Cologne mischte. Irgend etwas in ihm rollte sich unter der sinnlichen Ausstrahlung des Ortes träge zusammen, und Essian fühlte einen scharfen Schmerz im Hals, der schon fast an Ekel grenzte. Was halte ich eigentlich wirklich von diesem Mann? fragte er sich. Nein, was fühle ich ihm gegenüber? Plötzlich bedauerte er, die Placemotes Beruhigungstabletten geschluckt zu haben.
    »Ich habe mich oft gefragt, wann du wohl dieses Gespräch führen würdest«, sagte Winters.
    »Ich hätte es schon früher tun sollen, aber ich hatte einfach zu viel zu tun.«
    »Das habe ich gemerkt. Du hast eine Woche lang fast wie ein Besessener gearbeitet. Der ganze Stab hat kein anderes Gesprächsthema mehr.«
    »Außer dir.«
    »Außer mir. Was ist passiert?«
    Essian dachte an den Augenblick vor sechs Tagen zurück, als er Jill von Janus erzählt hatte. Nachdem sie gemeinsam an der Gleichung gearbeitet hatten, wußte er, daß das Projekt innerhalb weniger Wochen beendet sein würde. Daß er sich aber nur sechs Tage später bereits nur noch einen winzigen Schritt vom Erfolg entfernt befinden würde, hatte selbst er nicht zu hoffen gewagt. Erst jetzt, im Nachhinein, konnte er erkennen, wieviel Angst er vor jener Nacht gehabt hatte. Aber es waren keine weiteren Anschläge auf sein Leben erfolgt; es gab keinen Hinweis auf eine Störung durch Ameritec. Jetzt schien es offensichtlich zu sein, daß sie so weit gegangen waren, wie sie es wagen konnten. Alles würde gutgehen. Später am Abend würde er endlich, endlich, mit Jill schlafen, würde endlich die Frau, die ihn gerettet hatte, in den Armen halten. Er würde nicht befürchten müssen, erneut zu versagen, denn er fühlte sich inzwischen wieder stark und kräftig. Er würde keinerlei Schuldgefühle gegen Eric Winters haben. Selbst Adamly, der wie ein zurückgewiesener Racheengel vor seiner Haustür auf- und ablaufen würde, konnte sich dann nicht in seine Gedanken drängen, um den Augenblick zu verderben.
    Winters wartete auf seine Antwort.
    »Nichts ist passiert«, sagte Essian, denn er wußte genau, daß er Winters nicht erklären konnte, welchen Einfluß Jill auf ihn gehabt hatte. »Ich hab in der Luft gehangen, und dann ging es auf einmal wieder.«
    »Einfach so?«
    Die kleinen Büschel schwarzen Haares auf

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