Die Janus-Gleichung
Winters’ Handrücken schienen Essians Blick magisch anzuziehen und festzuhalten. »Ich denke, wir sollten uns über meinen Chef unterhalten«, sagte er. »Während ich gearbeitet habe, ist er auf dem Zahnfleisch gelaufen.«
»War ich wirklich so schlimm?«
»Komm schon, Eric. Seitdem ich die Spur wieder aufgenommen habe, haben wir keine zehn Worte am Tag miteinander gewechselt. Du warst mir keinerlei Hilfe.«
Der Schmerz verzerrte Winters’ Gesicht ein wenig, zog sich dann aber wieder unter die Oberfläche zurück. »Du hättest mich jederzeit rufen können.«
»So haben wir nie miteinander gearbeitet. Du hast mich auf dem laufenden gehalten, ohne daß ich nachfragen mußte, hast dich um Einzelheiten gekümmert, mir Unterbrechungen vom Hals gehalten.«
»Du hast niemanden gebraucht, der Störungen vor dir fern hielt. Du hast mich auch nicht gebraucht. Du scheinst inzwischen über andere Möglichkeiten zu verfügen.«
Essian versuchte in Winters’ Gesicht zu lesen, während der Mann die Augen niederschlug und sich damit beschäftigte, seine Bruyerepfeife zu stopfen. Die Erkenntnis, daß Winters eifersüchtig war, verwirrte ihn trotz des leichten Rauschzustandes durch die Placemotes. Was wußte er von Jill?
»Das ist nicht der springende Punkt, Eric, und das weißt du auch. Du hast dich mehr und mehr zurückgezogen, bist fast ungenießbar geworden. Irgend etwas wurmt dich.« Als der andere Mann ihm keine Antwort gab, machte sich Essian innerlich hart und führte die Sache weiter. »Was willst du weiterhin mit Janus anfangen?«
»Was meinst du damit?«
»Du warst doch von Anfang an dagegen.«
»Sei nicht ungerecht. Ich bin der Sache ganz berufsmäßig nachgegangen und habe meine persönlichen Gefühle aus dem Spiel gelassen.«
»Wie ein alter römischer Prätorianer, der bereit ist, sich für seinen Herrn in Stücke reißen zu lassen.«
»Willst du mich verwirren?«
»Ich versuche lediglich herauszufinden, was du weiterhin mit Janus vorhast.«
»Ob ich für meine Überzeugung einstehe wie ein richtiger Mann?« Winters wurde sarkastisch.
Essian zuckte die Schultern.
»So einfach ist das nicht. Okay, ich habe darüber nachgedacht, wie ich das Janus-Projekt abblocken könnte. Aber ich habe mich dir gegenüber immer loyal verhalten, Paul. Ich war loyal, und jetzt machst du dich über mich lustig und fällst mir in den Rücken. Aber du hast deine Klischees ein wenig durcheinandergebracht, für dich bin ich nicht der Prätorianer sondern der Palasteunuch.«
»Das ist doch Quatsch…«
»Nein; nein, es ist wahr. In gewisser Weise verachtest du mich, Paul. Wenn du mich anschaust, dann siehst du einen großen, kräftigen Mann, einen starken Mann, und du erwartest von mir, daß ich herumlaufe, die Leute beim Kragen packe, daß ich mir auf die Brust schlage und alles, was sich mir in den Weg stellt, niederwalze.«
»Eric, hör auf.«
»Laß mich ausreden. Du hast eine bestimmte Vorstellung davon, wie ein Mann zu sein hat. Vom Äußeren her entspreche ich deiner Idealvorstellung, bin ich die leibliche Verkörperung deiner Idee. Wenn du aber versuchst, in mein Inneres vorzudringen, dann verwirrt es dich, und du ziehst dich zurück. Das hat unsere Beziehung von Anfang an belastet, und ich habe schon oft mit dir darüber reden wollen, aber ich habe deine Angst gespürt und habe mich deshalb zurückgehalten.«
»Ich habe keine Angst vor dir.«
»Nicht direkt. Aber du hast Angst vor dem, was ich dir bedeuten könnte. Ich bin die vollkommene Verkörperung deiner schlimmsten Ängste in bezug auf dich selber. Du siehst mich an und fragst dich: Ist Eric nun ein Mann oder ist er es nicht? Er sieht groß und stark aus, aber er ist freundlich und empfindsam. Wo bleibt sein Konkurrenzverhalten und sein Kampfgeist? Sollten richtige Männer denn nicht immer in Konkurrenz zueinander stehen, immer die Spitze erreichen wollen? Er aber hat all die Jahre immer nur für andere Männer gesorgt.
Du stellst irgendwelche Vermutungen wegen meines Körpers, und siehst erschreckende Widersprüchlichkeiten, die nur für dich da sind, Paul. Das, was du nie verstanden hast, ist, daß ich genau derjenige bin, der ich sein will. Ich habe mich nämlich deshalb nicht durch die Hierarchie der Korporation hinaufgearbeitet, weil sie mich einen feuchten Schmutz interessiert, aber der Ehrgeiz, den ich für mich selber habe, ist so stark entwickelt wie der eines jeden Menschen. Ich möchte die Menschen besser verstehen können. Ich möchte sie
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