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Die Janus-Gleichung

Die Janus-Gleichung

Titel: Die Janus-Gleichung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Spruill
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allmählich verlangsamten. Eine ganze Weile später rollte sich Essian zärtlich auf die Seite und setzte sich im Schneidersitz hin, fühlte die feste Matratze unter sich. Auch Jill richtete sich auf und schlang die Arme um ihre Knie.
    »Was wirst du jetzt tun?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Essian.
    »Du meinst, daß du Janus vielleicht nicht an Meridian aushändigen wirst?«
    »Ich muß dauernd an Eric denken; was er zu tun versucht hat.«
    »Eric Winters hat geglaubt, daß du wichtiger seist als die Maschine.«
    »Er hat sich geirrt.«
    »Das glaube ich nicht.« Jills trauriges, kleines Lächeln schien noch etwas anderes zu verbergen; ein unruhiges Gefühl beschlich Essian. Er erinnerte sich daran, daß Jill draußen im Parkland Winters bei seinem Vornamen gerufen hatte, daß sie über seinen Tod bittere Tränen vergossen hatte, obwohl sie ihn nie zuvor gesehen hatte.
    Als wenn sie seine Gedanken lesen könnte, sagte Jill: »Du kannst die Frage danach, wer ich nun eigentlich bin, einfach nicht aus deinen Gedanken verbannen, nicht wahr?«
    »Ich hab es dir doch gesagt, es ist ganz gleichgültig.«
    »Nein, das ist es nicht.« Als ob sie sich eben ihrer Nacktheit bewußt geworden wäre, verschränkte sie die Arme über der Brust.
    Essian beugte sich nach vorne. »Also, was ist los?«
    »Ich bin sehr froh, daß wir Zeit füreinander gefunden haben«, sagte sie sanft.
    »Wovon redest du überhaupt? Wir stehen doch erst am Anfang.«
    Ihr Kopfschütteln machte ihm Angst. »Die Zeitmaschine, du wirst sie bauen«, sagte sie.
    Er wollte ihr eine Antwort geben, aber dann hatte sein Verstand den tieferen Sinn der Worte erfaßt und fing an, sich um sich selbst zu drehen. Alle Ereignisse der vergangenen Wochen drängten sich ihm auf, eine Reihe von Vorstellungen, die so gestochen scharf waren, daß Jill davor verblaßte. Er hatte die Kontrolle über sich selbst verloren und sich mit der Janus-Gleichung abgemüht, als sie das erste Mal in seine Traumwelt und dann in sein Leben getreten war. Es war wahr, sie war ihm in der Bar aufgefallen, er hatte sie angesprochen, er hatte sie von dem Urlaub am Meer abgehalten, jede Mauer war auf Grund seiner Initiative gefallen, aber erst jetzt nahm dieser seltsame Zwang einen erschreckenden Sinn an. Im Nachhinein war es klar: Er war auf dem Weg gewesen, sich selber zu zerstören, sich in seine Bestandteile aufzulösen. Sie hatte ihm Frieden gegeben, war einfach erschienen – woher? – hatte sich seiner Psyche angepaßt, war der Schlüssel zu seinem Selbst geworden, und zwar genau in jenem Augenblick, als er dafür empfänglich gewesen war. Er wollte es irgendwie nicht wahrhaben, drückte sich um die schreckliche Frage des wie und nahm dann zitternd von dem ganzen Thema Abstand. Du wirst sie bauen, hatte sie gesagt. Er erinnerte sich an die Nacht, als er und Winters über ein bestimmtes mögliches Paradoxon der Zeitreise diskutiert hatten. Er sah sie an, betrachtete den ruhigen, nach innen gekehrten Gesichtsausdruck, mit dem sie wartete; er spürte, daß sie genau wußte, was der nächste Augenblick bringen würde,…als ob, nein, als ob, Himmel, nein. Als ob es sich bereits ereignet hätte.
    »Ich will deinen Fuß sehen«, sagte er mit einer Stimme, die zu rauh, zu weit weg war, um seine eigene zu sein. Als sie sich ohne zu zögern zurücklehnte und dabei auf die Hände stützte, um ihm ihren Fuß entgegenzustrecken, wußte er noch, bevor er es gesehen hatte, was ihn erwartete. Er packte ihn, die Haut unter seinen Fingern wurde weiß und starrte auf die unverkennbare, halbmondförmige Narbe an ihrer Ferse – die Narbe, die er/sie beide/sie sich vor drei Jahren während der Strandparty eines Rekrutierers zugezogen hatte, als er in die Scherben einer Whiskyflasche getreten war.

XV
     
     
     
    »Jack und Jill liefen auf den Hügel
    Wollten einen Eimer Wasser holen;
    Jack fiel hin und zerbrach die Krone,
    Jill purzelte hinterher.«
     
    Essian ließ Jills Fuß los und stand taumelnd auf. Das Blut schoß ihm in den Kopf und umrahmte alles, was er sah, mit einem roten Kreis. Er schrie etwas, das er selber nicht verstehen konnte.
    »Paul! Paul! Paul!«
    Sie rief seinen Namen; aber es war ihr Name, denn sie war er, dabei konnte sie es nicht sein, denn er war ein Mann, ein Mann. Oh Gott, oh mein Gott, war er gar kein Mann? Sie war aufgetaucht, und er hatte geglaubt, sie habe ihn gerettet. Aber jene Stelle, in die er eingedrungen war, war durch ein Messer entstanden – das Messer, das jene

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