Die Jerusalem-Krise
nötigen Strom. Und in der Krypta finden wir uns auch im Licht der Taschenlampen zurecht. Aber ich werde dafür sorgen, dass wir in der Nacht allein sind.«
»Was heißt das denn?«
Graves hatte schon den Türgriff angefasst. Er öffnete allerdings nicht. »Ich bin nicht allein. Doreen Kelly, eine Fachfrau von der Universität Glasgow, begleitet mich. Sie unterstützt mich sehr bei meiner Arbeit.«
Das war mir neu. Ich verbarg meine Überraschung auch nicht. »Weiß sie über alles Bescheid?«
»Ich denke nicht. Ich habe einiges für mich behalten. Es kann allerdings sein, dass sie sich ihre Gedanken gemacht hat.«
»Wohnt Sie bei Ihnen?«
»Im gleichen Haus. Nur eben in einem anderen Zimmer. Unten befindet sich ein kleiner Pub. In ihm können wir uns dann treffen. Ich werde jedenfalls auf Sie warten.«
»Wie steht es um Ihre Mitarbeiterin?«
»Sie wird nicht dabei sein.«
»So meine ich das nicht. Was macht sie jetzt?«
»Ich nehme an, dass sie im Zimmer sitzt und über ihren Unterlagen brütet. Wir haben heute nur am Morgen gearbeitet.«
»Kennt sie denn das Fresko?«
»Ich hoffe nicht.« Peter Graves drückte die Tür auf. Er stieg geduckt aus, und es dauerte nicht lange, da war er im Nebel verschwunden, als wollte er nie wieder zurückkehren...
***
Es klopfte gegen die Scheibe. Suko war plötzlich da und stieg in den Wagen. »Na?«
»Sag erst, wie es bei dir gewesen ist.«
Er winkte ab. »Nichts. Ich habe die Augen offen gehalten, sofern man das bei dieser Witterung kann. Ich habe weder einen Menschen gesehen noch gehört.«
»Und doch sind sie da!«
»Ach, wer sagt das? Dein Informant?«
»Ja, Peter Graves.«
»Der jetzt verschwunden ist. Wobei ich an deinem Gesicht ablese, dass dir der Besuch nicht viel gebracht hat.«
Ich wiegte den Kopf. »Das kann man nicht so einfach sagen. Es war verdammt interessant, und es könnte sich daraus etwas entwickeln, denke ich.«
»Spuck’s schon aus.«
»Templer. Henry St. Clair. Der rätselhafte Schatz. Möglicherweise auch unsere Baphomet-Freunde.«
»Ich bin ganz Ohr.«
In Stichworten berichtete ich Suko, was ich von Peter Graves erfahren hatte.
Suko ließ sich etwas Zeit mit einer Äußerung. »Mal eine Frage, John. Glaubst du an das, was du da gehört hast?«
»Sicher.«
»Auch an den Schatz?«
Der direkten Antwort wich ich aus. »Peter Graves hat auf mich einen schon recht glaubwürdigen Eindruck gemacht. Er hat etwas entdeckt, was wohl nicht entdeckt werden sollte, nehme ich mal an.«
»Und einer dieser Männer auf dem Bild könnte unter Umständen Henry St. Clair sein, dein Ahnherr?«
»Graves geht davon aus.«
»Da lassen wir uns mal überraschen.«
Dieser Meinung war ich auch.
Als Suko ausgestiegen war, hatte ich mich auf den Fahrersitz gesetzt. Als ich jetzt nach dem Zündschlüssel fasste, fragte ich meinen Freund: »Oder willst du fahren?«
»Nein, nein, lass mal. Mich würde nur interessieren, wohin unsere Fahrt geht.«
»Nach Roslin.«
»Nicht zu dieser Kirche?«
»Die schauen wir uns später an. Zusammen mit Peter Graves. Ich hoffe, er kann uns einige Türen öffnen.«
»Dabei hätten wir jetzt schon hinfahren können«, murrte Suko. »Liegt sie denn auf dem Weg?«
»Mal schauen«, sagte ich nur...
***
Peter Graves hatte John Sinclair vieles erzählt, aber nichts von seiner großen Angst, die ihn auch jetzt nicht aus den Krallen ließ, als er heftig strampelte, um so schnell wie möglich nach Roslin zu gelangen. Er hatte noch genügend Zeit, um sich auf den Abend einstellen zu können. Wenn er daran dachte, fühlte er sich zwar beruhigter, aber seine Angst war trotzdem nicht verschwunden. Sie hatte sich in ihm festgefressen wie ein Tier mit scharfen Zähnen. Er kannte seine Feinde nicht, aber er wusste, dass sie in der Nähe waren. Ihre Warnungen hatten ihn stets erreicht, sogar in der Kirche.
Als er an Rosslyn Chapel dachte, fuhr er schneller. Noch bewegte er sich auf der normalen Straße, und wenn er nach unten schaute, sah es so aus, als würde der graue Asphalt unter den Nebelstreifen regelrecht zerfließen, um sich aufzulösen.
Es war ein altes Rad. Er hörte dem Singen des Dynamorädchens zu, als es über den Vorderreifen glitt, und versuchte immer wieder, sich von seinen trüben Gedanken zu befreien, was ihm nicht gelang, denn der Druck wollte einfach nicht weichen.
Trotz Großstadtnähe war es eine recht einsame Gegend. Nur einmal kam ihm ein Wagen entgegen. Ein Truck, der sich wie ein Monster aus dem grauen
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