Die Joghurt-Luege
dass das Gleichgewicht der Darmflora unter bestimmten Bedingungen aus dem Ruder gerät, zum Beispiel nach der Einnahme eines Antibiotikums, bei Diabetes, Allergien, Entzündungen der Darmschleimhaut oder einer Eiweißmangelernährung. In diesen Fällen könnten die Bakterienstämme enorm anwachsen, was die Wanderungsbereitschaft beflügelt. Bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem könnten die eingewanderten Mikroben Probleme verursachen, indem sich beispielsweise mit der Nahrung aufgenommene probiotische Bakterien an Organe heften und Entzündungen hervorrufen. 20
Milchsäurebakterien sind nicht per se als unbedenklich einzustufen, denn eine Spezies unterteilt sich in verschiedene, genetisch nicht |60| uniforme Stämme mit jeweils anderen Eigenschaften. Das Attribut »sicher« kann jeweils nur einem Stamm, nicht aber der gesamten Spezies zugesprochen werden. Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) warnt davor, Erfahrungen bei der traditionellen Verwendung von Milchsäurebakterien als Starterkulturen und deren Unbedenklichkeit auf neue probiotische Stämme zu übertragen. Von einer ungeprüften Verwendung von Lactobacillus rhamnosus raten die Verbraucherschützer ab, da es bei dieser Spezies Stämme gibt, die bei Superinfektionen eine Rolle zu spielen scheinen. So konnten sie in Blut und Organproben von Menschen nachgewiesen werden, deren Immunabwehr geschwächt war, beispielsweise bei Krebskranken, Transplantations- und Dialysepatienten. 21 Das BgVV dringt daher auf eine stammspezifische Identifizierung und entsprechende Unbedenklichkeitsprüfungen, besonders auch im Hinblick auf die gesundheitliche Verfassung des Verbrauchers. Immerhin handelt es sich um lebende probiotische Keime, die in hoher Zahl konsumiert werden. Nur Studien mit probiotischen, zuvor definierten und gut charakterisierten Bakterienstämmen am Menschen können letztlich Gewissheit schaffen. Sie sollten nicht nur die üblichen Kriterien wie doppelblind, randomisiert und placebokontrolliert durchgeführt werden, sondern ihr Ergebnis auch wiederholbar und überprüfbar sein, wie das durch die Veröffentlichung in renommierten Fachzeitschriften am ehesten der Fall ist.
Milchsauer vergorene Produkte gelten schon seit Hunderten von Jahren als gesund – lange bevor der Mensch den hilfreichen Lactobazillus aufspürte. Am Anfang dieser Entwicklung standen milchsauer vergorenes Gemüse und Kefir, der mithilfe von Hefepilzen fermentiert wird. Aus Russland stammt die Tradition, Brot mit Sauermilch, Wasser und Gewürzen zu vergären. Fahrende Händler bieten das alkoholhaltige Getränk Kwass bis heute vor allem in den Sommermonaten als kühle Erfrischung in den Städten an. Ein alkoholfreies Pendant gibt es auch in Deutschland: Der Brottrunk, seit etwa einem Vierteljahrhundert verbreitet, wird aus vergorenem Vollkornbrot und Wasser hergestellt. Auch ein bis zwei Becher Joghurt à 250 Gramm enthalten genügend Milchsäurebakterien – auf teure probiotische Produkte könnte man eigentlich gut verzichten.
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Sekundäre Pflanzenstoffe SPS
Sekundäre Pflanzenstoffe dienen eigentlich der Pflanze selbst. Sie produziert sie nicht vorrangig, um zu wachsen, sondern um sich zu schützen: vor Insektenfraß, Pilzbefall oder schädlicher UV-Strahlung. Die Stoffe, die dabei entstehen, werden also nicht im Primärstoffwechsel gebildet, sondern im sekundären. Daher haben sie auch ihren Namen.
Bis vor wenigen Jahren galten SPS – ähnlich wie Ballaststoffe – als unbedeutend für die menschliche Ernährung und Gesundheit, ja sogar als giftig. Mittlerweile hat sich diese Meinung ins Gegenteil verkehrt, haben epidemiologische Untersuchungen und Interventionsstudien doch viele Hinweise auf den Nutzen von sekundären Pflanzenstoffen belegt. Je nachdem, um welche SPS es sich handelt, wirken sie
antikarzinogen (das Krebsrisiko senkend),
antimikrobiell (vor Mikroben wie Bakterien, Viren, Pilzen schützend),
antioxidativ (als Radikalfänger)
und stärkend auf das Immunsystem.
Zum Beispiel hemmt Phytinsäure, die in den Randschichten des Getreidekorns vorkommt, die Bildung von Sauerstoffradikalen, die für die Entstehung von Dickdarmkrebs mitverantwortlich gemacht werden. Anderen Verbindungen, wie der großen Gruppe der Polyphenole, werden vielfältige positive Eigenschaften zugesprochen. |65| Zu diesen Substanzen gehören die Flavonoide, die sich wiederum in verschiedene Gruppen gliedern (siehe Tabelle 7).
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