Die Joghurt-Luege
wissenschaftlicher Beweis allerdings noch aus. Solange Unsicherheit besteht, haben Zusatzstoffe in der Kindernahrung nichts verloren, zumal es genügend Alternativen gibt. Doch die Industrie will Eltern und Großeltern glauben machen, es gäbe nichts Besseres als »Kinderlebensmittel«, jene knallbunten Süßigkeiten, grellen Limos und industriellen Fertigprodukte, von denen die Supermarktregale überquellen. Doch Nahrungsmittel sind von Natur aus nicht übermäßig bunt, und die Lebensdauer ihrer Farben und Aromen ist ebenso zeitlich begrenzt wie Haltbarkeit und Frische. Dass die Industrie vor allem bei »Kinderlebensmitteln« und Süßigkeiten künstlich nachhilft, um den Geschmack der jungen Generation zu treffen, um ihren Erlebnishunger und ihren Abenteuerdrang zu befriedigen und ihre Identitätssuche mit konsumorientierten Idealen verknüpfen zu können, ist keine neue Erkenntnis, schürt aber immer wieder Unbehagen. Viele Kinder nehmen heute an Zusatzstoffen weit mehr auf als der Durchschnitt der Erwachsenen – und als gut für sie wäre. Das »Zusatzstoff-Monitoring« der Europäischen Union 2002, in dem insgesamt 90 Zusatzstoffe untersucht wurden, offenbarte, dass Kinder zwischen drei und sechs Jahren eine Risikogruppe bilden. Die Knirpse schaffen es, bei zehn Zusatzstoffen die für den Erwachsenen |166| festgelegten akzeptablen Tageshöchstmengen zu überschreiten; werden sie einseitig ernährt, steigt deren Zahl auf 14. 79
Diese zehn Zusatzstoffe sind zum einen Farbstoffe:
Gelborange S (E 110),
Cochenille (E 120),
Grün S (E 142),
Brillantschwarz BN (E 151),
zum anderen Konservierungsstoffe:
Sorbate (E 200, E 202, E 203),
Benzoate (E 210 bis E 213),
Schwefeldioxid (E 220),
Sulfite (E 221 bis E 224, E 226 bis E 228),
Nitrite (E 249, E 250),
Phosphate (E 338 bis E 341, E 450 bis E 452). 80
75 Prozent aller Lebensmittel sind industriell hergestellt, darunter ein großer Prozentsatz für Kinder. Das Dortmunder Forschungsinstitut für Kinderernährung hat Kinderprodukte genauer unter die Lupe genommen und fand bei 84 Prozent der getesteten »Kinderlebensmittel« Aromastoffe, hauptsächlich in Süßigkeiten, Milchprodukten und Getränken. Aromastoffe müssen nicht einzeln auf der Zutatenliste aufgeführt werden, auch bestehen für sie keine Höchstmengenempfehlungen wie der ADI-Wert. Andere Zusatzstoffe wie Emulgatoren, Konservierungsstoffe und Farbstoffe fanden die Dortmunder in 73 Prozent aller Produkte. Rund 70 Prozent der getesteten Kindergetränke waren mit Säuerungsmitteln, Farbstoffen oder Emulgatoren versetzt.
Die nach wie vor mangelhafte Deklaration zahlreicher Produkte erschwert es Eltern, deren Kinder unter Allergien oder Pseudoallergien leiden, diejenigen Nahrungsmittel herauszufinden, die diese vertragen. Während bei Allergien schon kleinste Spuren des Allergens ausreichen, um einen Schub auszulösen, verstärken sich bei einer Pseudoallergie die Symptome, je mehr das Kind von der auslösenden Substanz aufnimmt. In beiden Fällen ist es jedoch wichtig, die betreffende Substanz zu kennen – eine Detektivarbeit, die nur ein allergologisch |167| erfahrener Kinderarzt leisten kann. Die Lücken in der Deklaration erschweren ihre Arbeit enorm.
Es sind nicht nur die Zusatzstoffe und Aromen in Fertiggerichten aller Art – jeder kommt täglich mit einer Unmenge an Substanzen in Berührung. Ganz gleich, ob mit Pflege- oder Reinigungsmitteln, am Arbeitsplatz, zu Hause oder im Urlaub, nie zuvor war der Mensch einer größeren Anzahl einzelner Verbindungen ausgesetzt als heute. Eine Voraussage, wie der Einzelne darauf reagiert, ist ebenso wenig möglich wie eine Überprüfung der Wechselwirkungen.
Am meisten wird das Problem Zusatzstoffe wohl im Zusammenhang mit Allergien diskutiert. Ins Visier der Verbraucher sind sie gerückt, als um 1920, mit der Einführung der Cola, immer mehr Menschen unter entsprechenden Symptomen litten. 81 Im Lauf des 20. Jahrhunderts entwickelten sich Allergien und Pseudoallergien zu Volkskrankheiten, besonders betroffen sind Kinder. Seit 2000 ist der Anteil an Kindern mit Asthmasymptomen um 33 Prozent und der Anteil an Jugendlichen um 24 Prozent gestiegen, 82 mittlerweile leidet jedes fünfte Kind unter Neurodermitis. Warum gerade der Nachwuchs in der westlichen Welt so gefährdet ist, soll die ISAAC-Studie (International Study of Asthma and Allergies in Childhood) klären, die seit Mitte der 1990er Jahre läuft und als größte ihrer Art ins Guinness-Buch der Rekorde
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