Die Joghurt-Luege
aufgenommen wurde. Wahrscheinlich ist ein Ursachenkonglomerat: Aus Beobachtungen schlussfolgerten die Forscher, dass Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, sich in den ersten Lebensjahren häufig Infekte zuziehen, mit vielen Gleichaltrigen in Kontakt und mit Schmutz in Berührung kommen, wesentlich seltener erkranken. Allein schon eine sechsmonatige Stillzeit oder hypoallergene Anfangsnahrung reduzieren das spätere Allergierisiko um 50 Prozent. Als harmlose Lebensmittel gelten Kartoffeln, Möhren, Erbsen, Bananen, Äpfel, Birnen und Mais; fatal dagegen ist es, einem Kind, das in eine Allergikerfamilie hineingeboren wurde, vor seinem zweiten Lebensjahr allergene Lebensmittel wie Fisch, Eier, Kuhmilch, Sojaprodukte, Südfrüchte oder Nüsse anzubieten. Vorsicht ist auch bei Kinderlebensmitteln geboten. Trotz wachsender Beliebtheit – von 1998 bis 2003 hat sich ihre Anzahl verdreifacht – liefern die stark verarbeiteten Produkte mit einem Zuviel an Fett und Zucker, künstlich zugesetzten Vitaminen und Mineralstoffen |168| eine ganze Reihe von Aromen, Farb- und anderen Zusatzstoffen, bei denen niemand mit Sicherheit einen negativen Effekt auf den kindlichen Organismus ausschließen kann. Die Debatte um Allergien und Pseudoallergien, toxische Wirkungen bis hin zu Zellveränderungen einfach mit dem Argument vom Tisch zu fegen, alle E-Nummern seien ausreichend untersucht, ist Augenwischerei. Schließlich stehen Langzeittests und Untersuchungen zu möglichen Wechselwirkungen noch aus. Trotz aller Kritik an Gehalt und Preis boomt der Markt für das Essen vom Band. Heute stellt sich nur noch jeder zweite Deutsche an den Herd, um das Essen selbst zuzubereiten – und das auch bloß von Zeit zu Zeit. Längst ist die bequeme Mikrowellenära angebrochen, die »schnelle Welle«, mit der Unternehmen Jahr für Jahr durchschnittlich rund 5 Prozent mehr Umsatz generieren als im Jahr zuvor. »Chilled Food« gilt der Branche als Segment mit dem größten Wachstumspotenzial. Nicht nur Singles und ältere Menschen, auch berufstätige und nichtberufstätige Eltern greifen zu Fertiggerichten, um sich selbst oder ihrer Familie möglichst schnell und bequem eine warme Mahlzeit zu kredenzen.
Zwar wird es eine zusatzstofffreie Großproduktion nicht geben können, ebenso wenig wie ein Zurück zu großmütterlichen Kochgewohnheiten. Doch man kann einiges tun, um ein Zuviel zu vermeiden: selber kochen schützt. Wer dafür auch noch frische Zutaten verwendet, vermeidet von vornherein Risiken, die er nicht abschätzen kann. Unter diesem Aspekt betrachtet, könnte man »E« anstatt mit »essbar« mit »erträglich« übersetzen: Gesunden, die dann und wann zum stark verarbeiteten Lebensmittel greifen, werden die zugesetzten Stoffe wahrscheinlich nicht schaden – frei nach dem viel zitierten Satz, den Paracelsus, Begründer der modernen Arzneimittellehre, vor rund 450 Jahren äußerte: »All Ding’ sind Gift und nichts ohn’ Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.«
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|182| Kapitel 4
Rohstoffe
Natürlich und gesund, mehr oder weniger
Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass wir die Risiken der Rohstoffe im Big Business der Lebensmittelproduktion und die Lücken im Kontrollsystem mit einem von den Medien ad acta gelegten Thema belegen wollen: BSE. Während andere Skandale in den Medien immer wieder aufflackern, nimmt kaum jemand noch davon Notiz, wie das derzeitige System Landwirtschaft es erleichtert, Vorschriften zu BSE sukzessive zu umgehen und zum Zweck eigener Gewinnmaximierung auszublenden. BSE steht exemplarisch für den nachlässigen und teils skrupellosen Umgang mit Rohstoffen, die die Grundlage für die Herstellung von menschlicher Nahrung bilden.
Die durch atypische Prionen verursachte Erkrankung, deren humane Variante (eine neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit; englisch: Variant Creutzfeldt Jakob Disease, vCJD) ebenfalls zum qualvollen Tod führt, gilt in der Öffentlichkeit längst als kontrollierbar, wenn nicht sogar als besiegt. Gammelfleisch und falsch abgepackte Ware beschäftigten die Verbraucher 2005/06 mehr als eine durch nicht artgerechte Verfütterung von Kadavern und Schlachtresten an Pflanzenfresser hervorgerufene Erkrankung, deren Einzelmechanismen weder für das Rind noch für den Menschen vollständig aufgeklärt sind. Tiermodelle mit Mäusen und Hamstern haben die Erkenntnisse um BSE zwar erheblich erweitert und geben viele Anhaltspunkte – aber keine
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