Die Joghurt-Luege
Schlachthof. Von dieser Überlegung ausgehend hat der Schweizer Forscher Ueli Braun vom Tierspital Zürich einen Test entwickelt, der so unkonventionell wie preiswert ist. Er stützt sich vor allem |197| auf die Beobachtungsgabe und das Einfühlungsvermögen der Rinderhalter und bedarf kaum anderer »Instrumente« als der eigenen Hände. 13 BSE beginnt nämlich keineswegs spektakulär, sondern schleichend. Obwohl die Fresslust lange erhalten bleibt, geht die Milchleistung zurück und die Kühe magern langsam ab. In diesem Stadium können einfachste Untersuchungen klären, ob solche unspezifischen Zeichen auf eine BSE-Infektion zurückzuführen sind oder nicht.
Am deutlichsten zeigen sich BSE-Symptome dann, wenn die Ruhe im Stall durch äußere Einflüsse gestört wird. Das können Vögel, andere Personen oder das Rascheln von Blättern sein. BSE-Kühe blicken ängstlich, zucken zusammen, knirschen mit den Zähnen, lecken das Maul, zittern oder schlagen aus. Zunächst berührt der Tierhalter das betreffende Rind an Kopf und Hals. Schlägt es mit den Hörnern und rümpft die Nase, kann er das als Hinweis für eine Infektion werten. Die Lärmempfindlichkeit wird überprüft, indem er unvermittelt in die Hände klatscht, woraufhin das BSE-Rind erschrickt, niederstürzt oder an der Kette reißt. Reagiert es auf plötzliches Licht, zum Beispiel von einer Taschenlampe oder einem Blitzlicht, ähnlich, verdichten sich die Beweise. Als gestörtes Verhalten gilt auch, wenn das Rind plötzlich springt, sich weigert, weiterzugehen, einknickt oder beim Berühren der Hinterbeine ausschlägt. Ein Verdacht auf BSE ist schon dann gerechtfertigt, wenn die Kuh auf einen oder mehrere dieser Reize absonderlich reagiert, schreibt das Schweizerische Amt für Veterinärwesen. BSE ist meldepflichtig.
An diesem Punkt scheidet sich die Spreu vom Weizen: Verantwortungsvolle Tierhalter melden den Verdacht, skrupellose drücken beide Augen zu und überlassen die Kuh dem Viehhändler – sie entsorgen das Tier über die Konsumkette. Dass dies keineswegs die Ausnahme zu sein scheint, zeigen Erfahrungen im Schlachthof: Rund ein Drittel aller mit dem BSE-Test untersuchten Kühe hatte vorher typische und ausgeprägte Krankheitszeichen gezeigt, auch das zweite Drittel hatte Symptome, wenn auch weniger deutlich. Nur beim letzten Drittel ließen sich keine typischen Zeichen feststellen – dass die Tiere aber abmagerten und weniger Milch gaben, hatten die Tierhalter immer bemerkt. 14 Dass mancher Rinderhalter |198| ökonomische Zwänge zum Anlass nimmt, seine Schuldgefühle über Bord zu werfen, das Rind schlachten und das Fleisch verwerten zu lassen, scheint auch bei anderen Tierkrankheiten nicht unüblich zu sein. So schreibt die Universität München auf ihrer Internetseite über Paratuberkulose 15 : »Es ist sinnvoll, ein verdächtiges Rind nach Möglichkeit zu isolieren, bis die Untersuchungsergebnisse verfügbar sind. Im Zweifelsfall ist es ratsam, das Tier zu schlachten, falls noch ein Schlachterlös zu erwarten ist […].« Mit anderen Worten: Tiere, die offensichtlich nicht gesund sind, werden wissentlich der menschlichen Ernährung zugeführt.
Das Problem mit der Kennzeichnung
Die Grundvoraussetzung, um eine Seuche erforschen oder sogar bekämpfen zu können, ist zu wissen, woher die Erreger stammen. Bis Mitte der 1990er Jahre war es fast unmöglich, das herauszufinden, weil niemand nachvollziehen konnte, woher ein Rind stammte. Erst mit der BSE-Krise traten die zweifelhaften Wege im internationalen Rindfleischverkehr zutage – ebenso wie das Nachdenken der Verbraucher darüber wuchs, dass Rinder als reine Pflanzenfresser jahrzehntelang mit Tiermehl gefüttert worden waren. Geburten, Zugänge, Schlachtungen, Verkauf oder Verenden – Lebensweg und Herkunft der Rinder waren nur schwer nachvollziehbar, zentrale Informationen existierten nicht. Die 1995 eingeführte gelbe Plastikohrmarke, die jedes Rind tragen musste, erwies sich als ebenso unzureichend wie die Begleitpapiere, in die sein Besitzer von Hand die jeweiligen Stammdaten einzutragen hatte. Stattdessen sind seit 1998 zwei identische Ohrmarken Pflicht, ebenso hat der Rinderpass, der für jedes Tier von seiner Geburt an bis zu seinem Tod geführt werden muss, das Begleitpapier abgelöst. Seit 1999 sind alle Rinder in Deutschland erfasst und in einer zentralen Datenbank registriert. Diese Datenbank ist Teil des »Herkunftssicherungs- und Informationssystems für Tiere (HIT)«, gepflegt
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