Die Joghurt-Luege
ermittele und dass dessen gesamter Tierbestand gesperrt worden sei. (Angeklagt wurden schließlich sechs Rinderhalter im Emsland; einer ist inzwischen zu einer Haftstrafe verurteilt worden.) Wenige Monate später folgten weitere E-Mails und Schreiben an das BMVEL und an das Abgeordnetenbüro der damaligen Bundesministerin Renate Künast; schließlich schickte der Viehhändler auch Artikel aus der Osnabrücker Zeitung, eine Ablichtung zweier Rinderpässe und Listen über nachbestellte Ohrmarken. Jetzt wurde das BMVEL aktiv. Es hakte beim Leiter des Koordinierungsausschusses der Länder für die Datenbank in München nach und wurde fündig: Einige Betriebe hatten übermäßig viele Ersatzohrmarken oder Ersatzpässe für Rinder nachbestellt. Um dieser rechtswidrigen Unsitte einen Riegel vorzuschieben, hatte der Leiter des Koordinierungsausschusses nach eigenen Angaben »die Möglichkeit zur Online-Bestellung […] deutlich verschärft« 16 . Seit 2004 spürt in Bayern nun ein Spezialistenteam möglichen Missbrauchsfällen in der zentralen Rinderdatenbank nach; zunächst einmal durchforstete es die vergangenen zwei Jahre, allerdings nur im Freistaat.
Auch ein erster Abgleich zur BSE-Test-Datenbank, die Bestandteil der HIT-Datenbank ist, war wenig beruhigend ausgefallen. Es hatte sich herausgestellt, dass es erhebliche Differenzen zwischen der Zahl BSE-testpflichtiger Rinder und der tatsächlich getesteter Rinder gab. Offensichtlich waren BSE-Tests unter den Tisch gefallen. Insgesamt waren 0,6 Prozent der knapp drei Millionen BSE-Tests, das sind rund 10 000 Fälle, unklar. Das Gros beruhte nach Aussage der Behörden auf Eingabefehlern wie zum Beispiel Adressangaben der Tiereigentümer oder Zahlendrehern bei den Ohrmarkennummern und Rinderpassnummern. Ungewohnt energisch verlangte das Verbraucherschutzministerium »eine generalstabsmäßige Aufklärung« 17 und räumte den Bundesländern eine Frist bis Januar 2004 ein, um die nicht geklärten Einzelfälle zu überprüfen und Rapport zu erstatten. |202| Bis September 2003 waren 611 Tiere, die älter als 24 Monate waren, ohne den zwingend vorgeschriebenen Pflichttest auf BSE geschlachtet und vermarktet worden:
im Saarland 25 Rinder. Diese wurden über einen Hofladen verkauft.
in Mecklenburg-Vorpommern sechs Rinder, vermarktet über eine kleinere Metzgerei.
in Bremen vier Rinder, die jüngeren Rindern (für die keine Pflicht zum Test besteht) zugeordnet worden waren.
in Baden-Württemberg 180 Rinder, darunter 20 »Schwarzschlachtungen« (keine Vorabinformation der Behörden über die geplante Schlachtung, meist keine Anwesenheit eines Tierarztes, deshalb auch keine Lebenduntersuchung, keine Fleischhygieneuntersuchung, keine BSE-Tests).
in Nordrhein-Westfalen 50 Rinder, darunter zwei »Schwarzschlachtungen«.
Weil noch eine ganze Reihe von Daten aus den verschiedenen Landkreisen fehlte, ging das Bundesverbraucherministerium davon aus, dass die aufgedeckten nicht die einzigen Fälle nichtgetesteter Rinder waren und erwog sogar Rückrufaktionen. Schon 2002 waren etwa 2 300 Tonnen Rindfleisch in Bayern zurückgeordert worden, nachdem sich herausgestellt hatte, dass ein nicht zugelassenes Labor der Firma Milan im fränkischen Westheim Schlachtrinder auf BSE getestet hatte.
Dass es in Deutschland zu »schwerwiegenden Mängeln bei Aufsicht und Kontrollen« zur Rückverfolgbarkeit von Rindfleisch gekommen war, hat zu Beginn des Jahres 2004 die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz der Europäischen Kommission bei einem Inspektionsbesuch festgestellt. In ihrem Bericht 18 schreibt sie dazu:
»Die Rückverfolgbarkeit von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen vom Einzelhändler bis zum landwirtschaftlichen Betrieb konnte in den meisten Fällen nicht garantiert werden, und zwar hauptsächlich aufgrund des Fehlens von Warenbegleitpapieren bzw. der Verwendung |203| nicht korrekter Warenbegleitpapiere sowie aufgrund des Fehlens eines umfassenden Registrierungssystems in den Betrieben. Des Weiteren wurde festgestellt, dass die Kontrollen der Rinderhaltungsbetriebe nicht in Übereinstimmung mit der Verordnung (EG) Nr. 2630/97 […] durchgeführt wurden und dass mit dem System zur Registrierung der landwirtschaftlichen Betriebe und zur Kennzeichnung der Tiere nicht in allen Fällen für die umfassenden Informationen gesorgt wurde, die erforderlich sind, um die Tierverbringung vom Schlachthof bis zum Ursprungsbetrieb zurückzuverfolgen.«
Außerdem stellte die Kommission
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