Die Joghurt-Luege
Aroma von Fertigsuppen den letzten Pfiff. Foodwatch zufolge ist eine Unterscheidung von Griebenmehlen, die für Lebensmittel zugelassen sind, und denen für Futtermittel nicht möglich. Wem solche Argumente überzogen scheinen, der ziehe die amtlichen Statistiken zurate. Dort kann man herauslesen, wie verschlungen die Wege des Tiermehls in Europa sind – und wie groß das Bermudadreieck, in dem es verloren geht. Während die dänischen Exportzahlen für 2003 insgesamt 79 000 Tonnen Tiermehl für Deutschland ausweisen, führt die deutsche Statistik lediglich 2 000 Importtonnen dänischen Tiermehls auf.
Das Dilemma ist hausgemacht. Bundesweit arbeiten 2 500 Lebensmittelkontrolleure – allein in Nordrhein-Westfalen kommen 290 Kontrolleure auf 190 000 Betriebe. Bei dieser ungleichen Konstellation könnten selbst Argusaugen kaum etwas ausrichten. Im Gegensatz zur Milchwirtschaft, wo vor allem firmeneigene Kontrolleure aus Großmolkereien die Produktion von Milch in den einzelnen Höfen überwachen, ist die Fleischwirtschaft sehr viel unübersichtlicher: Ein Betrieb sorgt für Kälbernachwuchs, ein zweiter mästet sie, ein dritter schlachtet sie und zerlegt das Fleisch. Noch bis in die 1970er Jahre hinein hatte jede größere Gemeinde ihren eigenen Schlachthof, der hauptsächlich von den Bauern aus der Umgebung beliefert wurde. Als die EU immer strengere Hygienevorschriften erließ, warfen die Kommunen das Handtuch: Ihnen fehlten Rücklagen, um ihre Schlachthöfe nachzurüsten. Dies war die Stunde der Investoren. Mit erheblicher steuerlicher Förderung ausgestattet, bauten sie große Schlachthöfe und Zerlegebetriebe, deren Kapazitäten |206| so hoch waren, dass sie mit der Belieferung durch heimische Bauern nicht mehr ausgelastet waren – sie orderten Schlachtvieh aus anderen Regionen und Ländern. Seitdem werden die Tiere quer durch Europa transportiert, in unterschiedlichen Betrieben zerlegt, gelagert und weiterverarbeitet. Neben dem enormen Preisdruck in der Branche ist es gerade diese Unübersichtlichkeit, die eine Überwachung erschwert und dazu verführt, die Vorschriften zu umgehen. Geradezu ironisch mag es daher anmuten, dass die Selbstkontrolle der Betriebe in Deutschland groß geschrieben wird – schon deshalb, weil es den Behörden an personellen und finanziellen Kapazitäten fehlt. Darüber hinaus ist Deutschlands Föderalismus Gift für den Verbraucherschutz. Während die Fleisch- und Futtermittelindustrie längst international agiert, setzt die deutsche Lebensmittelkontrolle auf veraltete regionale Strukturen. Die »Kleinstaaterei« mit Zuständigkeitsgerangel und unterschiedlichen Standards macht strenge Kontrollen unmöglich, spielt aber denjenigen zu, die behördliche Trägheit, politisches Desinteresse und Verwaltungsdenken für sich auszunutzen wissen. Außerdem »menschelt« es gewaltig zwischen Kontrolleuren und Kontrollierten.
Hohe Politik und die Macht des Geldes
Noch im Jahr 2000 hatte die damalige bayerische Gesundheitsministerin Barbara Stamm (CSU) den Freistaat für BSE-frei erklärt, doch schon am 17. Dezember 2000 wurde sie eines besseren belehrt. Dem ersten amtlich bestätigten BSE-Fall folgten weitere, bundesweit. Überall im Land mussten Behörden positiv getestete Rinder melden. Die BSE-Krise hatte ihren Anfang genommen. Viele Lokal und Bundespolitiker hatten sich bis dahin blind, taub und unwissend gestellt – in der vagen Hoffnung, der Kelch möge an Deutschland und seinen Landwirten vorübergehen. Die Süddeutsche Zeitung hat in ihrer Ausgabe vom 9. Januar 2001 das Versagen am Beispiel Bayerns dokumentiert:
|207| 15.8.1990
Der bayerische Grünen-MdB Hias Kreuzeder fordert im Bundestag ein vollständiges Verfütterungsverbot für Tiermehl und ein BSE-Forschungsprogramm. ABGELEHNT.
14.6.1994
Im bayerischen Landtag fordert die SPD ein Produktionsverbot für Tiermehl. ABGELEHNT.
2.2.1995
Im bayerischen Landtag fordert die SPD ein Verfütterungsverbot für Tiermehl. ABGELEHNT.
7.2.1995
Im bayerischen Landtag fordern die Grünen unter anderem ein Importverbot von britischem Tiermehl. ABGELEHNT.
16.4.1995
Das bayerische Gesundheitsministerium beruhigt: Tiermehl werde in Bayern amtstierärztlich kontrolliert.
4.7.1996
Im bayerischen Landtag fordert die SPD ein Verfütterungsverbot für Tiermehl. ABGELEHNT.
19.2.1997
Im bayerischen Landtag fordern Grüne und SPD ein Verfütterungsverbot von Tiermehl. ABGELEHNT.
3.4.1997
Im bayerischen Landtag fordern die Grünen
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