Die Joghurt-Luege
Unerschrockenen Prognosen.
Die Lebensmittelindustrie weist indes alle Schuld von sich. Allein der Verbraucher lege über seine Kaufentscheidung fest, ob er sein Dasein als krankheitsgefährdeter Dicker fristen oder als gesundheitsbewusster Athlet genießen will. Wenn den Konsumenten auch eine Mitschuld an der Misere trifft, ihm allein die Schuld zu geben, widerspricht der Realität. Subtile Werbekampagnen sind nur ein Beispiel von vielen für die Manipulationsmöglichkeiten des guten Geschmacks. Die Industrie hat kein Interesse daran, dass der Mensch prinzipiell weniger und vor allem gesünder isst. 2004 hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Report »Lebensmittelstandardisierung zur Bekämpfung der chronischen Krankheiten« über die Zunahme der globalen Fettsucht zurückgehalten – nach Auffassung der britischen Zeitung Media-Guardian auf Druck der US-amerikanischen Lebensmittelindustrie. Der Report, im Vergleich zu den bisher üblichen, eher »zahnlosen«, kritisiere erstmals deutlich die Lebensmittelindustrie, kommentierte damals Bruce Silverglade vom Washingtoner US-Center for Science in the Public Interest. Dass Tatsachen |276| über die derzeitigen, erschreckenden Ernährungsgewohnheiten der Industrievölker ans Licht der Öffentlichkeit gelangen, würde das Portfolio der Branche attackieren.
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|282| Verengte Blutgefäße, drohende Milliardenklagen
Wer es nicht schafft, der Spirale aus Appetit, Problembewältigung und Essen zu entgehen, setzt seine Gesundheit aufs Spiel. Übergewichtige oder adipöse Jugendliche beispielsweise riskieren im Gegensatz zu normalgewichtigen Gleichaltrigen die Entwicklung einer gefährlichen Arteriosklerose, die potenziell tödlich verlaufende Krankheiten wie Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Thrombosen auslösen kann. Das belegen Daten aus den Niederlanden, wo staatliche ärztliche Untersuchungen für alle schulpflichtigen Kinder obligatorisch sind. Auf diese Weise war es Medizinern möglich, eine einzigartige Studie durchzuführen. Mithilfe eines speziellen Ultraschalls ermittelten sie die Dicke der mittleren Gefäßinnenhaut der Halsschlagader bei Schulkindern, um den so genannten CIMT-Wert (Carotid intima-media thickness) bestimmen zu können. Diese Größe ist aus medizinischer Sicht besonders wichtig, denn sie gibt an, wie hoch das Risiko für einen Herzinfarkt oder für andere Herzerkrankungen ist. Eine verdickte Gefäßinnenhaut gilt als Indiz für das Auftreten von Todesfällen durch Herz-Kreislauf-Krankheiten bei Menschen mittleren Alters und bei Senioren. Auch junge Menschen und Kinder, deren Gefäßinnenwände einen hohen CIMT-Wert aufweisen, leben gefährlich – das Risiko einer kardiovaskulären Attacke ist besonders hoch.
Zu alarmierenden Schlussfolgerungen gelangten die Forscher erst, nachdem sie die CIMT-Werte mit den ebenfalls aufgezeichneten Körpergewichten und daraus resultierenden BMI-Werten verglichen. Im Ergebnis zeigte sich nämlich, dass ein erhöhter BMI im Jugendalter zu einer Verdickung der Gefäßinnenhaut der Halsschlagader führt. Um durchschnittlich 2,3 Mikrometer nimmt diese Verdickung nach innen zu – entsprechend weniger Raum hat das Blut, um durch die lebenserhaltende Pipeline zu rauschen. Noch höher fiel diese Verengung bei jenen Teilnehmern aus, die auch als Erwachsene übergewichtig blieben. »Nur normalgewichtige Kinder werden zu gesunden und glücklichen Erwachsenen«, kommentierte die Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik in Aachen die Studie.
Dass die Arterien von übergewichtigen Kindern durch eine falsche |283| Ernährung und das damit verbundene Übergewicht akut gefährdet sind, fanden auch Forscher der Chinese University of Hong Kong heraus. Erschreckend war ihre Erkenntnis, dass Blutgefäße adipöser Kinder jenen von Rauchern mittleren Alters gleichen – oder sich sogar in einem weitaus schlechteren Zustand befinden. Wer als Kind solche Voraussetzungen für sein weiteres Leben mitbringt, hat ein fünfmal höheres Herzinfarktrisiko als jemand, dessen BMI akzeptabel ist. Die 2004 im Fachblatt Circulation veröffentlichte Arbeit des Wissenschaftlers Kam Woo 11 hatte 54 übergewichtige Jungen und 28 korpulente Mädchen mit einem Durchschnittsalter von 9,9 Jahren untersucht.
Die von der Lebensmittelbranche forcierte Vermarktung von Süßigkeiten und der ungebremste Nahrungskonsum bereits im Kindesalter haben ein Nachspiel – spätestens im Erwachsenenalter. Weil jedoch Menschen,
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