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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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gebe zu, dass ich eine ordentliche Stärkung gut vertragen kann«, sagte er auf seine direkte Art und mit erwartungsvollem Blick auf die dampfenden Terrinen und die Flaschen Tokaier, die dort ih rer harrten.
    Nach einigen Höflichkeiten verwickelte der Graf den Anwalt in ein erstes Gespräch über die Immobiliengeschäfte, die er in England zu tätigen gedachte. Das bot den anderen eine gute Gelegenheit, ihren Gastgeber eingehend zu studieren, während sie sich mit gebrate nem Huhn, Salat, Käse und Wein stärkten.
    Graf Dracula war ein Mann von sehr eindrucksvoller Physiognomie. Byron fand, dass sein bleiches Gesicht mit dem schmalen, scharf ge bogenen Nasenrücken und den ungewöhnlich geformten Nüstern etwas Raubvogelartiges an sich hatte. Über der hohen gewölbten Stirn war das eisengraue Haar voll, nur an den Schläfen hatte es sich sehr gelichtet, sodass die seltsame Form der Ohren, die farblos er schienen und nach oben spitz zuliefen, sofort auffiel. Der Graf hatte buschige Augenbrauen, die über der Nase fast zusammenwuchsen, und sein Mund wirkte hart. Das Verstörendste jedoch waren seine großen und makellos weißen Eckzähne. Ähnlich scharf und zu nadel spitzen Enden geschnitten waren auch die Nägel seiner recht grob aussehenden Finger.
    Nachdem der Graf sein erstes Gespräch mit Matthew Golding beendet hatte, erkundigte er sich bei Byron und seiner Begleitung, welchem Grund er denn ihren Besuch zu verdanken habe.
    Nun gab Byron wieder die Lügengeschichte mit der Biografie, die er zu schreiben hätte, zum Besten.
    »Sie wandeln also auf Mortimer Pembrokes Lebensspuren!« Ein verhaltenes Lächeln flog über das Gesicht des Grafen. »Trotz seiner gelegentlichen Anwandlungen und Stimmungsschwankungen ein fürwahr außergewöhnlicher Mann, der es zweifellos wert ist, dass man sein Leben für die Nachwelt festhält. Es betrübt mich, von sei nem frühen Tod zu hören.«
    »War er länger bei Ihnen zu Gast?«, erkundigte sich Alistair. »Und was hat Sie beide zusammengebracht?«
    Graf Dracula lächelte verhalten. »Das gemeinsame Interesse für die Geschichte meiner Familie und für außergewöhnliche Vorgänge der Natur, die sich dem gewöhnlichen Menschen im Allgemeinen entzie hen, würde ich sagen«, antwortete er vage. »Und wie lange war er hier? Wohl gute zehn Tage, es war gerade eine Zeit umfangreicher Baumaßnahmen hier auf der Burg, dann erkrankte leider ganz plötz lich sein junger Freund und Begleiter. Ich glaube, er litt unter einer Art von Blutarmut, die zu meinem Bedauern dann auch zu seinem ra schen Ableben hier geführt hat.« Es zuckte dabei um seine Mundwin kel und seine Zunge glitt kurz zwischen den Zähnen hervor. »Ich ge stehe, seiner noch lange gedacht zu haben. Aber über dies und vieles andere, was Sie interessiert, werden wir in den nächsten Tagen ja noch ausgiebig reden können.«
    Matthew Golding, der mit bleichem Gesicht am Tisch saß, bekam einen Hustenanfall und griff hastig zu seinem Taschentuch.
    Byron nickte. »Gewiss, aber vielleicht lässt sich eines jetzt schon klären«, sagte er und wagte sich an den wahren Grund, der sie auf die Burg geführt hatte. »Zu den leider sehr fragmentarischen Reisenotizen, die Mortimer Pembroke bei seinem Tod hinterlassen hat, gehört auch eine merkwürdige Passage, die er mit einer Reihe von Ausrufezeichen markiert hat, sodass ich vermute, dass es sich dabei um ein ihm wichtiges Detail gehandelt hat.«
    »Und wie lautet diese Passage?«, fragte der Graf interessiert.
    »Nun, es handelt sich dabei nur um einen kurzen, nicht einmal voll ständigen Satz«, korrigierte sich Byron. »Er lautet ›Ich habe den toten Templer auf Graf Kovats Burg Negoi gesehen‹, gefolgt von sieben Ausrufezeichen. So steht es in seinem Tagebuch.«
    »Und was hat der gute Lord sonst noch über seinen Aufenthalt bei mir in seinem Tagebuch festgehalten?«, fragte der Graf.
    »Nur diesen einen Satz mit den vielen Ausrufezeichen, nichts wei ter«, teilte Byron ihm mit, was nun wieder der Wahrheit entsprach.
    Graf Dracula, der neben dem Kamin stand, machte eine nachdenk liche Miene, während er sich mit seinen spitzen Nägeln am Kinn kratzte.
    »Das ist in der Tat sehr merkwürdig und gibt auch mir Rätsel auf. Denn von einem toten Templer, den er auf meiner Burg gesehen ha ben will, weiß ich nichts. Und wenn es hier jemals einen solchen ge geben hätte, so hätte ich gewiss Kenntnis davon. Immerhin ist Burg Negoi sozusagen seit Ewigkeiten mein Zuhause, zumindest

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